Am 18. Mai 2009 gewann die deutsche U17-Nationalmannschaft das Finale der Europameisterschaft mit 2:1 gegen die Niederlande. Mit von der Partie waren zwei heutige Weltmeister, aber auch Spieler, die dem professionellen Fu\u00dfball den R\u00fccken zukehren mussten. Ein Blick auf den Weg einiger Europameister lohnt sich. Interessant ist die Ursachenforschung und der Vergleich mit den anderen gro\u00dfen Fu\u00dfballl\u00e4ndern Europas in Sachen Talentf\u00f6rderung.<\/p>\n
Die Differenzen der einzelnen Europameister von 2009 k\u00f6nnten gr\u00f6\u00dfer kaum sein. Sind einige der Spieler heute Schwergewichte im Spitzenfu\u00dfball, kennt kaum mehr ein Fan \u2013 von Talentscouts mal abgesehen \u2013 die Namen vieler anderer. Der Name, der bei Google sicherlich die meisten Treffer zu Tage f\u00f6rdert, ist Mario G\u00f6tze. Der ehemalige Dortmunder ist mit seinen 22 Jahren ganz oben angekommen. Er ist mehrfacher deutscher Meister, Pokalsieger und nicht zuletzt seit diesem Juli Weltmeister. Im Finale gegen Argentinien gelang ihm das umjubelte 1:0 nach einer sehenswerten und anspruchsvollen Ballannahme. Damit setzte er seinen Namen in die Geschichtsb\u00fccher des Weltfu\u00dfballs: Rahn, M\u00fcller, Brehme, G\u00f6tze \u2013 so lauten die Namen der Helden, die Deutschland zu ihren gr\u00f6\u00dften Erfolgen schossen.<\/p>\n
Mario G\u00f6tze passt da durchaus mit rein. Oft als „Wunderkind“ bezeichnet, wurde der „German Messi“ seinem Ruf meist gerecht. Er d\u00fcrfte das Potential haben, in den n\u00e4chsten zehn Jahren dem Weltfu\u00dfball pr\u00e4gend seinen Stempel aufzusetzen. G\u00f6tzes Weg an die Spitze war ein konventioneller. Er durchlief die deutschen Jugend-Nationalmannschaften und verblieb bei seinem Ausbildungsverein Borussia Dortmund, wo er auch sein Bundesliga-Deb\u00fct und die ersten Titel feiern durfte. Der n\u00e4chste Schritt war der umstrittene Wechsel zum FC Bayern M\u00fcnchen, dem nationalen Branchenprimus und stetigem Anw\u00e4rter auf den Champions League Titel. Dort will er sich nun konstant in der Weltelite festspielen und unter Pep Guardiola weiter entwickeln.<\/p>\n
Ein anderer Weltmeister ist Shkodran Mustafi, j\u00fcngst zum FC Valencia gewechselt. Sein Weg war ein g\u00e4nzlich anderer. Zur Zeit besagter Europameisterschaft stand er noch in Diensten des Hamburger Sportvereins, wechselte bald darauf aber in die Reserve des FC Everton. Ein mutiger Schritt, begibt man sich doch in die Gefahr, in Vergessenheit zu geraten. Obwohl er sich in England nicht durchzusetzen vermochte, lohnte sich f\u00fcr ihn der Schritt ins Ausland offensichtlich. Anfang 2012 wechselte er nach Italien zu Sampdoria Genua. Mit den Hafenst\u00e4dtern stieg er noch im selben Sommer auf und avancierte darauf zum Stammspieler in der Serie A. Die Belohnung f\u00fcr seine konstant guten Leistungen waren die Nomination f\u00fcr den deutschen WM-Kader 2014 und nun auch der Wechsel nach Spanien.<\/p>\n
Dem mittlerweile 22-J\u00e4hrigen scheinen die fr\u00fchen Erfahrungen im Ausland gut getan zu haben. Horst Hrubesch \u2013 Trainer der deutschen U21 \u2013 spricht von Mustafi als eine „f\u00fcr sein Alter sehr reife Pers\u00f6nlichkeit“. Der Weltmeister selbst stellte auch fest, dass ihm die Erfahrungen gut getan h\u00e4tten. In England sei er k\u00f6rperlich gefordert gewesen und in Italien vor allem taktisch gereift.<\/p>\n
Doch nicht jeder der siegreichen Junioren darf nun bereits auf schillernde erste Jahre im Profisport oder gar auf einen Triumphzug im Maracana zur\u00fcckblicken. Einige der Spieler haben bislang den Sprung in die erste Bundesliga verpasst oder die Karriere gar ganz beendet. Ganz interessant ist der Kurs von Reinhold Yabo. Der Deutsch-Kongolese war Kapit\u00e4n der Europameister und Taktgeber im zentralen Mittelfeld. Dem Talent des 1. FC K\u00f6lns wurde eine gro\u00dfe Zukunft vorausgesagt. 2009 und 2010 bekam er die Fritz-Walter-Medaille der Jahrg\u00e4nge U17 bzw. U18 in Silber verliehen, jeweils hinter Mario G\u00f6tze. Ein optimales Vorzeichen f\u00fcr eine erfolgreiche Zukunft.<\/p>\n
Doch es sollte anders kommen: Reinhold Yabo konnte sich bei den Gei\u00dfb\u00f6cken nie durchsetzen und verlie\u00df den FC nach einem Jahr zu Leihe in Aachen 2013 ganz und verst\u00e4rkte den Karlsruher SC. In den professionellen Fu\u00dfball hat er es geschafft, von den H\u00f6hen ter Stegens oder G\u00f6tzes ist Reinhold Yabo allerdings weit entfernt geblieben. Der gl\u00e4ubige Christ engagiert sich daf\u00fcr anderweitig. Er schreibt einen Blog und wurde kurz vor der WM in den Gemeinderat der Stadt Karlsruhe gew\u00e4hlt.<\/p>\n
Einige Titeltr\u00e4ger der U17 haben den Traum professionell Fu\u00dfball zu spielen m\u00f6glicherweise unl\u00e4ngst begraben. Einer unter ihnen ist Robert Labus. Er war gemeinsam mit Mustafi ein Spieler des HSV und verblieb auch in der Hansestadt. Bis in die zweite Mannschaft schaffte er es, von der Bundesliga blieb er allerdings weit entfernt. Nach seinem Vertragsende 2013 verbrachte Labus ein halbes Jahr vereinslos, bis er in \u00d6sterreichs zweith\u00f6chster Spielklasse noch einen Versuch startete. Allerdings dauerte die Anstellung beim SV Kapfenberg nur ein halbes Jahr an, seit diesem Sommer ist Labus wieder ohne Arbeitgeber. Konkrete Anzeichen, dass sich dies bald \u00e4ndern k\u00f6nnte, gibt es nicht.<\/p>\n
Robert Labus ist nicht der Einzige, der sein Leben wohl oder \u00fcbel abseits vom Spitzenfu\u00dfball gestalten muss. Auch Bienvenue Basala-Mazana, ehemaliger Rechtsverteidiger der K\u00f6lner Jugendmannschaften, ist derzeit als Fu\u00dfballer arbeitslos. Gerrit Nauber spielt noch, allerdings „nur“ in der Regionalliga bei Sportfreunde Lotte, viele sind in der zweiten Bundesliga aktiv.<\/p>\n
In Deutschland hat die zielgerichtete F\u00f6rderung der Jugend eine enorme Bedeutung erlangt. Nach dem sportlichen Tiefpunkt 2004 wurden Strukturen geschaffen, von denen jetzt der Verband ebenso in h\u00f6chstem Ma\u00df profitiert wie die Liga. Dieser eingeschlagene Weg gipfelte diesen Sommer \u2013 zw\u00f6lf Jahre sp\u00e4ter \u2013 im Gewinn der Weltmeisterschaft. Mit von der Partie unter vielen anderen waren beispielsweise Jerome Boateng, Toni Kroos und Mario G\u00f6tze. Alles Spieler, die im Zuge dieser gezielten F\u00f6rderung den Weg in die A-Nationalmannschaft gefunden haben. Mit Max Meyer, Timo Werner und Matthias Ginter steht auch schon die n\u00e4chste Generation bereit, um kr\u00e4ftig mitzumischen.<\/p>\n
Die Frage, wie talentierte Jugendliche vorzugehen haben, um sich optimal entwickeln und entfalten zu k\u00f6nnen, ist also von essentieller Bedeutung. Was machte ein G\u00f6tze richtig und ein Yabo vielleicht falsch? Antworten darauf sind schwierig zu finden, h\u00e4ngt doch so vieles von den pers\u00f6nlichen und auch strukturellen Umst\u00e4nden ab. Jugendspieler sind darauf angewiesen, dass in den Vereinsmannschaften einerseits ein Platz f\u00fcr sie frei wird und andererseits auch der Wille besteht, unerfahrenen Spielern Praxis auf hohem Niveau zu verschaffen, auch wenn sie noch Fehler machen.<\/p>\n
Solche Vereine sind schwierig zu finden. Sind sie ausgesprochen erfolgsverw\u00f6hnt wie beispielsweise der FC Bayern, haben sie einen zu hochwertigen Kader. Schw\u00e4chere Vereine hingegen sind oftmals Unruhen ausgesetzt und die Verantwortlichen, die einen Nachwuchsspieler in den Kader berufen, k\u00f6nnen schnell wieder weg sein. Au\u00dferdem ist Fu\u00dfball ein schnelllebiges Gesch\u00e4ft – die Umst\u00e4nde k\u00f6nnen sich Jahr f\u00fcr Jahr \u00e4ndern. Talentierte Spieler brauchen also neben ihrer Begabung und viel Disziplin vor allem eines: Gl\u00fcck.<\/p>\n
Veranschaulichen l\u00e4sst sich dies an den Europameistern von 2009 sehr gut. Beispielsweise blieben Mario G\u00f6tze und Marc-Andr\u00e9 ter Stegen konventionell bei ihren Stammvereinen und in ihrem Umfeld. Beide hatten sie Gl\u00fcck. Der Dortmunder wurde in ein funktionierendes und erfolgreiches Gef\u00fcge integriert und nach Kagawas Wechsel in Richtung Manchester konnte er seinen Platz festigen. Der Gladbacher Torh\u00fcter hatte einerseits das Gl\u00fcck, dass keine \u00fcberzeugende Nummer eins in Gladbach vorhanden war und andererseits, dass Trainer Lucien Favre mutig genug war, im Abstiegskampf auf einen unerfahrenen Torwart zu setzen. Reinhold Yabo blieb seinem Ausbildungsverein ebenfalls treu, auch Robert Labus verzichtete auf einen fr\u00fchen Wechsel. Erfolg muss sich damit scheinbar nicht einstellen \u2013 ganz im Gegenteil.<\/p>\n
Auch der Weg ins Ausland kann einen Spieler vorw\u00e4rts bringen oder ihn entscheidend zur\u00fcck werfen. Shkodran Mustafi fand wie gesagt sein Gl\u00fcck im Ausland und entwickelte sich gut. Christopher Buchtmann hingegen wechselte ebenso fr\u00fch nach Liverpool, allerdings nicht zu Everton, sondern zu den Reds an die Anfield Road. Sein bisheriger Ausbildungsverein war der BVB gewesen. R\u00fcckblickend wohl keine gute Entscheidung, denn Buchtmann spielte nur f\u00fcr die Reserveteams, erst f\u00fcr jenes von Liverpool, dann f\u00fcr Fulham. 2012 wechselte er nach Deutschland zur\u00fcck. Er konnte sich in K\u00f6ln allerdings nicht durchsetzen und spielt jetzt in der zweiten Liga bei St. Pauli.<\/p>\n
Den „richtigen“ Weg gibt es folglich nicht f\u00fcr junge Spieler. Welche Entscheidungen sich vorteilhaft auswirken, d\u00fcrfte stark von der Pers\u00f6nlichkeit des Einzelnen abh\u00e4ngen. \u00c4u\u00dfere Umst\u00e4nde k\u00f6nnen die Talente dar\u00fcber hinaus kaum beeinflussen. Ob sie gef\u00f6rdert werden, im Kader Platz f\u00fcr sie vorhanden ist oder ob sie gesund bleiben, h\u00e4ngt auch gr\u00f6\u00dftenteils von Gl\u00fcck und Pech ab.<\/p>\n
Tendenzen sind vielleicht erkennbar. Beide Spieler des EM-Kaders, die damals in Diensten des HSV standen, spielten keine einzige Minute f\u00fcr den Bundesliga-Dino. Auch die beiden K\u00f6lner konnten dort den Durchbruch nicht verwirklichen. Es ist vielleicht kein Zufall, gelten diese beiden Vereine doch als Unruheherde gespickt mit viel medialem Wirrwarr. Anders verh\u00e4lt es sich mit Spielern bei Werder Bremen oder Borussia M\u00f6nchengladbach. Florian Trinks und Lennart Thy kann man zwar auch keine gl\u00e4nzende Karriere nachsagen, ihr Deb\u00fct durften sie allerdings alle beide in der Hansestadt feiern. Am Niederrhein kam immerhin Marc-Andr\u00e9 ter Stegen ganz gro\u00df raus, w\u00e4hrend Yunus Malli das Weite suchte und seitdem in Mainz die Fans entz\u00fcckt.<\/p>\n
Ganz spannend ist an dieser Europameisterschaft auch der Vergleich der L\u00e4nder untereinander, waren doch mit Deutschland, England, Niederlande, Frankreich, Italien und Spanien zahlreiche Fu\u00dfballgr\u00f6\u00dfen mit von der Partie. Deutschland stellt nun vier Spieler von damals, die regelm\u00e4\u00dfig auf h\u00f6chstem Niveau kicken: ter Stegen, G\u00f6tze, Mustafi und Leno. In Spanien sind es zwei (Iker Muniain und Isco). England und Italien stellen je einen (Jack Wilshire und Stephan El Shaarawy), w\u00e4hrend die Niederlande und Frankreich leer ausgehen. Deutschland und Spanien liegen in dieser Statistik also klar vorne. Dass diese beiden Nationen alle WM- und EM-Titel der letzten Jahre abgestaubt und zur Zeit im Vereinsfu\u00dfball die Schwergewichte schlechthin ins Rennen schicken, kommt da wohl nicht von ungef\u00e4hr.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
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