2015 war ein bewegtes Jahr \u2013 im Gro\u00dfen wie im Kleinen. Global betrachtet brachte dieses Jahr viel Unheil mit sich. Unschuldige Menschen mussten zuhauf ihr Leben lassen oder in h\u00f6chster Not fliehen. Wir mussten all diese Trag\u00f6dien mit ansehen. Wir haben mit ihnen gelitten. Gerade in solchen Zeiten bietet der Fu\u00dfball die B\u00fchne f\u00fcr kleine Lichtblicke. Heute m\u00f6chten wir von einem solchen berichten.<\/p>\n
Seit etlichen Jahren siechten die M\u00fcnchner L\u00f6wen in der zweiten Liga. Ein Szenario, mit dem man sich in Giesing einfach nicht abfinden wollte. Zur Saison 2014\/15 sollte \u2013 wie schon so oft \u2013 endlich alles besser werden. Ein radikaler Umbruch unter Neu-Sportdirektor Gerhard Poschner, Neu-Pr\u00e4sident Gerhard Mayrhofer und Neu-Trainer Ricardo Moniz fand statt: ein immenser Spieleraustausch war die Folge.<\/p>\n
Moniz sprach von der Meisterschaft \u2013 zum Ende der Saison fand man sich aber fast am anderen Ende der Tabelle. Das Hinspiel zur Relegation endete 0:0. Die L\u00f6wen tanzten auf Messers Schneide, dieser Tanz sollte am 2. Juni in der verhassten Allianz Arena gipfeln. Diese wurde an jenem Juniabend Schauplatz von einer emotionalen F\u00fclle, die sonst unter dem Zepter des roten Nachbarn in einer ganzen Saison nicht erreicht wird. Auch wir waren damals vor Ort \u2013 auf der Hinfahrt konnten wir noch nicht wissen, dass dies unser Moment des Jahres werden sollte.<\/p>\n
Am Morgen sa\u00df ich in meinem Zimmer und schrieb an einem Kommentar, der f\u00fcr die Abschaffung der Relegation argumentierte. Ich wollte einfach nie wieder so eine Anspannung erleben m\u00fcssen.<\/p>\n
Dieser Abend hat meine Ansichten in dieser Sache jedoch grundlegend ge\u00e4ndert. Da kein Ansatz richtig klappen mochte, machte ich mich mit dem Rad auf meinen Weg in die beschauliche Kreisstadt M\u00fchldorf, wo ich mir vor der Zugfahrt ein erstes Bier auf der sonnengefluteten Terrasse meines Tennisvereins genehmigte. Man sp\u00fcrte eine gewisse Spannung \u00fcber unserer kleinen Gruppe. Wir mussten uns wohl oder \u00fcbel damit abfinden, dass die elf Mannen heute die Zukunft dieses wunderbaren Vereins in der Hand haben. Zusammen mit einigen anderen L\u00f6wen machten wir uns auf die knapp einst\u00fcndige Reise in die bayerische Landeshauptstadt.<\/p>\n
Angekommen in M\u00fcnchen war sofort sp\u00fcrbar, dass wir nicht die einzigen waren, deren Wege an diesem Abend nach Fr\u00f6ttmanning f\u00fchren w\u00fcrden. In der Innenstadt begegneten wir nicht nur euphorisierten St\u00f6rche-Fans, sondern in der \u00dcberzahl nat\u00fcrlich L\u00f6wen. Die meisten davon seltsam angespannt wie wir \u2013 einer lief uns aber \u00fcber den Weg, der die Stimmung ein wenig dr\u00fcckte: „Wir steigen heute ab. 100%!“ \u2013 so war seine fatalistische Wortwahl uns gegen\u00fcber.<\/p>\n
Doch noch war nichts passiert, nach einem kleinen Imbiss begaben wir uns in die U6, machten uns auf den Weg. In der Bahn erblickten wir ein bekanntes Gesicht: Uns gegen\u00fcber sa\u00df Andreas Rettig, der ja mittlerweile f\u00fcr die Paulianer aus Hamburg arbeitet. Auch ihm war die Spannung auf den kommenden Abend anzumerken, ein interessantes Gespr\u00e4ch \u00fcber die Situation der L\u00f6wen vers\u00fc\u00dfte uns die Fahrt in die Outskirts der Landeshauptstadt.<\/p>\n
Aus der \u00fcberf\u00fcllten U6 ging es in Richtung des L\u00f6wentreffs, der inmitten einer Hochhaussiedlung stattfand. Bei einer Steaksemmel und einem G\u00f6sser konnte man noch in sich gehen, bevor man den Gang in die Arena antrat. Am Rande dieser Versammlung musste die in gro\u00dfer Zahl anwesende Polizei einem kleinen Jungen in Bayern-Dress einen Platzverweis erteilen, weil er es f\u00fcr notwendig empfand die ohnehin schon angespannten L\u00f6wenfans zu triezen.<\/p>\n
Zusammen mit der Masse der L\u00f6wenfans begab man sich nun z\u00fcgig in Richtung Arena. Kurz vor Anpfiff haben wir schlussendlich einen Platz in der Nordkurve gefunden von dem wir diesen ungewissen 90 Minuten entgegensehen konnten. Der Schiedsrichter Knut Kircher pfiff das Spiel an. In 90 Minuten wird alles gleich sein, und doch anders.<\/p>\n
Schon in der zweiten Minute verfehlte Valdet Rama mit einem Distanzschuss knapp, der Albaner sollte an diesem Tag noch eine bedeutende Rolle spielen. Danach \u00fcbernahm teilweise der Drittligist aus Kiel das Kommando, den Hausherren war der Druck und die Verunsicherung anzumerken. Auch als Fan machte man ein Wechselbad durch: Hoffnung, Stagnation, Angst, Euphorie \u2013 um einen Auszug des emotionalen Gemisches zu nennen.<\/p>\n
Nachdem ein erster Treffer der Kieler noch dank Abseitsstellung aberkannt worden war, riss Kazior in der 16. Minute ein Bein der Giesinger in die dritte Liga: 0:1 f\u00fcr die G\u00e4ste, es mussten zwei Tore her. Zwei Tore f\u00fcr eine am Abgrund stehende Elf, die sich befl\u00fcgelten St\u00f6rchen mit Oberwasser gegen\u00fcbersah.<\/p>\n
Es folgten knapp 80 Minuten am Abgrund. Besonders die Pause machte uns Fans zu schaffen. Da bewegte sich nichts, man wurde f\u00f6rmlich dazu gezwungen, die aktuelle Lage zu reflektierten. Es war eine Erl\u00f6sung von den eigenen Gedanken, als Knut Kircher die zweite H\u00e4lfte anpfiff.<\/p>\n
Bis zur 78. Minuten dauerte es, als Daniel Adlung endlich einen raushaute. Danach war die Anspannung wie weggeblasen. Endlich, ja endlich bildeten 50.000 L\u00f6wen eine Einheit. Vorbei die Zeiten der Zwietracht und internen Grabenk\u00e4mpfe. Ich glaube bis heute dass nur diese Einheit es m\u00f6glich machte, dass Kai Bul\u00f6w es vollbrachte, den Ball mit dem Willen eines L\u00f6wen \u00fcber die Linie zu dr\u00fccken.<\/p>\n
Wie soll man die Momente danach beschreiben? Auch die passendste Rhetorik l\u00e4sst die Situation nicht vollkommen authentisch abbilden. Jedenfalls lagen sich alle in den Armen, auf dem Platz und auf den R\u00e4ngen. Die Handvoll entt\u00e4uschten Kieler gingen mehr oder weniger unter, versanken im emotionalen Ausbruch der M\u00fcnchner Mehrheit. Wie im Rausch machte man sich auf den Weg Richtung Bahnhof, die Route dorthin eine einzige Party.<\/p>\n
Gl\u00fccklich im Zug sitzend bemerkten wir, dass wir einen unserer Leidensgenossen im Trubel verloren hatten, dieser war aber wegen des kombinierten Zugfahrtickets und des letzten Zuges an uns gebunden. In letzter Minute fand er uns aber \u2013 an diesem Abend sollte anscheinend alles gelingen, zur Not auch auf den letzten Dr\u00fccker.<\/p>\n
Und jetzt? In der Tabelle der zweiten Bundesliga steht der TSV 1860 M\u00fcnchen auf dem vorletzten Platz. Es gibt wenig Anlass zur Hoffnung. Wir stehen abermals am Abgrund. Doch dieser Juniabend gibt mir einen Funken Hoffnung. Wenn wir alle zusammenstehen, werden wir auch zusammen feiern k\u00f6nnen.<\/p>\n
Dieser Artikel wurde gemeinschaftlich von Philip Hell und Lukas Brandl verfasst.<\/strong><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" 2015 war ein bewegtes Jahr \u2013 im Gro\u00dfen wie im Kleinen. Global betrachtet brachte dieses Jahr viel Unheil mit sich. Unschuldige Menschen mussten zuhauf ihr Leben lassen oder in h\u00f6chster Not fliehen. Wir mussten all diese Trag\u00f6dien mit ansehen. Wir haben mit ihnen gelitten. Gerade in solchen Zeiten bietet der Fu\u00dfball die B\u00fchne f\u00fcr kleine Lichtblicke. Heute m\u00f6chten wir von einem solchen berichten.<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":5704,"comment_status":"open","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[13],"tags":[11],"yoast_head":"\n