Es ist inzwischen beinahe zur Normalit\u00e4t geworden, dass sich in der Bundesliga \u00dcberraschungsteams f\u00fcr den Europapokal qualifizieren. Europa League statt Klassenerhalt \u2013 das kann in der Folgesaison helfen, aber auch ganz sch\u00f6n schlauchen. Ist der europ\u00e4ische Wettbewerb eine Belastung oder eine Chance?<\/p>\n
Folgendes Szenario: Wir denken uns einen fiktiven Bundesligisten. Einen Verein, der mit ziemlich sachlichen Zielen in die Saison startet. Sagen wir: Klassenerhalt. Nennen wir den Verein der Einfachheit halber FC Aschaffenburg, kurz FCA. Nehmen wir an, das Team mit den niedrigen Erwartungen spielt eine komplette Saison am Limit. So sehr am Limit, dass Vereine mit dem doppelten Etat distanziert werden. Und so sehr am Limit, dass statt berauschender Nicht-Abstiegsfeier am Ende der Saison eine berauschende Europapokal-Feier steigt. Die Spieler machen sich unsterblich, die Fans jubeln und tr\u00e4umen von der Anfield Road.<\/p>\n
Jeder wei\u00df: Fiktiv ist das Szenario nat\u00fcrlich nicht. So geschehen in der vergangenen Bundesliga-Saison. Der FC Augsburg wollte nur die Klasse halten und landete am Ende mit 49 Z\u00e4hlern deutlich in der Europa League. Vereine wie Dortmund oder Schalke \u2013 Institutionen im deutschen Fu\u00dfball \u2013 mussten m\u00e4chtig bei\u00dfen, um den Fuggerst\u00e4dtern zu folgen.<\/p>\n
Nat\u00fcrlich jubelte man bei Saisonschluss in Augsburg: Der \u2013 mit Verlaub \u2013 kleine FCA in der gro\u00dfen weiten Welt. London, Neapel, Marseille \u2013 wo es uns wohl f\u00fcnf Jahre nach Oberhausen, Aachen und Osnabr\u00fcck hinverschlagen wird?<\/p>\n
Gut, die genannten Fu\u00dfball-Metropolen wurden es letztendlich nicht f\u00fcr den FCA. Aber es h\u00e4tte durchaus unattraktiver kommen k\u00f6nnen als Bilbao, Belgrad und Alkmaar. Die Fans des BVB beispielsweise mussten sich unweigerlich fragen: Wie spricht man das aus und wo liegt das?<\/p>\n
Seit ihrer Erweiterung und der Integration fast aller nationalen Meister in den europ\u00e4ischen Wettbewerb, sind Lose wie der FK Q\u00e4b\u00e4l\u00e4 aus Aserbaidschan keine Seltenheit. Die Europapokal-Romantik st\u00f6\u00dft da an ihre Grenzen. Und die im Vergleich zur Champions League geringen, wenn auch j\u00e4hrlich gesteigerten Pr\u00e4mien fressen bei ungl\u00fccklichen Losungen schon beinahe die Reisekosten auf: In der laufenden Saison gibt es f\u00fcr jeden Gruppenphase-Teilnehmer in der EL 2,4 Millionen Euro fix, dazu kommen Sieg- und Remispr\u00e4mien. In der CL sind es fix 12 Millionen.<\/p>\n
Doch widmen wir uns weiter den \u00dcberraschungsteams \u2013 f\u00fcr Dortmund, Leverkusen oder Schalke ist die EL schlie\u00dflich das j\u00e4hrliche (Minimal-)Ziel. Trotz der Mehrbelastung von mindestens sechs Partien hat der FC Augsburg seinen Kader vor der Saison nicht anders angepasst, als es sonst der Fall gewesen w\u00e4re. Und das nicht nur, was die reine Anzahl von sechs „gestandenen“ Profis angeht.<\/p>\n
Den internen Rekordtransfer von Ja-Cheol Koo, der auf etwa 5 Millionen Euro taxiert wird, h\u00e4tte man auch ohne die EL-Einnahmen vornehmen k\u00f6nnen \u2013 schlie\u00dflich war Chelsea ganz scharf auf Linksverteidiger Baba, der \u00fcber 20 Millionen eingebracht haben soll.<\/p>\n
Der Mehrfachbelastung zahlte man dennoch Tribut, auch wenn der „Ausverkauf“, der f\u00fcr \u00dcberraschungsteams fast obligatorisch ist, ausblieb. Allerdings erreichten die Augsburger die EL auch mit dem h\u00f6chsten Altersschnitt der Bundesliga. Jedenfalls tat es dem vorj\u00e4hrigen \u00dcberflieger zu Beginn gar nicht gut.<\/p>\n
Donnerstags noch bis in die Nacht in Bilbao oder zuhause aktiv, stand sonntags schon wieder die Bundesliga auf dem Programm. Darauf war der Kader wohl nie ausgelegt. Auch, wenn die Ergebnisse unmittelbar nach einer EL-Woche meist stimmten, die kurze bis fehlende Regeneration machte sich zu Bundesliga-Beginn bemerkbar. Ironischerweise in den Partien ohne vorherigen Europa-Ausflug.<\/p>\n
Als der FCA am dritten EL-Spieltag in Alkmaar gewinnen musste, um nicht schon fr\u00fch die Segel zu streichen, stand in neun Bundesliga-Partien gerade mal ein Sieg zu Buche. Tabellenletzter. Und mittendrin ein europ\u00e4ischer Ausflug. Es gibt sportlich wohl leichtere Phasen.<\/p>\n
Doch, man kann auch einfach das Beste daraus machen, so wie der FCA: Sieg in Alkmaar, Sieg im R\u00fcckspiel zuhause \u2013 und pl\u00f6tzlich funktioniert die EL als „Blockaden-L\u00f6ser“. Ab da an verlor der FCA in der BL nur noch einmal, holte vier Siege und zwei Remis. Die sportliche Talfahrt wurde kolossal umgekehrt. So sehr, dass sogar Last-Minute-Siege wie in Belgrad dabei rauskommen: Der FCA steht zum Winter wieder im Mittelfeld der Liga \u2013 und auch in der EL-Zwischenrunde.<\/p>\n
Klar ist: Pauschal l\u00e4sst es sich nicht sagen, ob eine \u00fcberraschende EL-Qualifikation nun f\u00fcr das „t\u00e4glich‘ Brot“, also die Bundesliga, schadet. War vielleicht der Sieg im „Do or die“-Spiel von Alkmaar die Initialz\u00fcndung, die der FC Augsburg gebraucht hatte? Und es gen\u00fcgt wohl auch nicht, nur auf die Belastung zu achten und darauf, ob der Kader extra vergr\u00f6\u00dfert werden m\u00fcsste oder nicht. Auch andere Faktoren spielen eine Rolle.<\/p>\n
Beispiel K\u00f6ln. Der Effzeh spielt eine grundsolide Hinrunde \u2013 Siege gegen Spitzenteams, Niederlagen gegen schw\u00e4chere Teams, bei der St\u00f6ger-Elf ist alles dabei. Obwohl es nur darum gehen sollte, ein wenig besser abzuschneiden als in der Vorsaison, ist zum Jahreswechsel mit ein wenig Tr\u00e4umerei auch ein Lauf in die EL-R\u00e4nge denkbar.<\/p>\n
Nat\u00fcrlich nicht zuletzt, weil h\u00f6her ambitionierte Teams schw\u00e4cheln. W\u00e4re das gut? Sicherlich, gegen\u00fcber Spielern, die langsam \u00fcber den sportlichen Zustand des Klubs hinauszuwachsen scheinen \u2013 insbesondere Timo Horn und Jonas Hector \u2013 h\u00e4tte man wohl ein gutes Argument pro Verbleib, das so nicht absehbar war.<\/p>\n
Aber kann man es dem Umfeld verkaufen, dass es in einer Saison, in der man parallel in Europa unterwegs ist, in der Bundesliga nur darum gehen kann, 40 Punkte einzusammeln? Da hatte es der FCA wiederum einfacher: Die erfolgreichen Jahre liegen soweit zur\u00fcck \u2013 und waren auch dann deutlich weniger ausgepr\u00e4gt als in der Domstadt \u2013 dass es den Fans leicht war klarzumachen: Europa genie\u00dfen wir. Die Bundesliga wird aber trotzdem kein Selbstl\u00e4ufer.<\/p>\n
Gerade f\u00fcr \u00dcberraschungsteams ist die Gefahr eines Absturzes „im Jahr danach“ gegeben. Die Konkurrenz wildert im Kader. Das Umfeld hebt ab. Der Kader wird nicht an die neue Belastung angepasst \u2013 oder man versucht pl\u00f6tzlich mit aller (finanziellen) Macht, den „Ausrutscher“ zum Dauerzustand werden zu lassen. Diese Gefahren bestehen sicherlich.<\/p>\n
Doch agiert man mit Weitblick und Besonnenheit, nimmt die Europa League als Erlebnis und Chance wahr, ohne vom urspr\u00fcnglichen, gesunden Weg der „kleinen Schritte“ abzuweichen, dann kann der Europa-Ausflug zum positiven Multiplikator werden. Und auch der Traum vom europ\u00e4ischen Schwergewicht erf\u00fcllte sich f\u00fcr den FCA noch \u2013 dem sportlichen Lauf und der Zwischenrunden-Auslosung sei Dank. Daf\u00fcr lohnt sich der Gang nach Europa doch. F\u00fcnf Jahre nach dem Niederrhein-Stadion hei\u00dft es nun: Anfield calling!<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
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