Der verstorbene Alt-Kanzler Helmut Schmidt sagte einmal: „Opportunismus ist zum Kotzen, aber er ist kein Monopol der Politiker.“ Stimmt \u2013 Opportunisten begegnen uns tagt\u00e4glich. In der Uni ist es das M\u00e4dchen, das in der ersten Reihe sitzt und \u00fcber jeden Witz des Dozenten lacht, als h\u00e4tte sie zum ersten Mal „Das Leben des Brian“ gesehen. In der Musikwelt ist es der K\u00fcnstler, der sein Independent- f\u00fcr ein Major-Label verl\u00e4sst. Und auch in der Welt des Fu\u00dfballs gibt es Opportunisten wie Sand am Meer. Julian Draxler ist einer von ihnen.<\/p>\n
Julian Draxler hat den typischen Lebenslauf eines Schalker Talents: Im Schatten der Veltins-Arena geboren und an der Gesamtschule Berger Feld zur Schule gegangen.<\/p>\n
Schon fr\u00fch machte er halb Europa auf sich aufmerksam. Juventus, Arsenal und viele weitere Vereine sollen an ihm interessiert gewesen sein. Diese Ger\u00fcchte hielten sich hartn\u00e4ckig und es war davon auszugehen, dass sich Draxler an einem gewissen Punkt f\u00fcr einen Wechsel ins europ\u00e4ische Ausland entscheidet.<\/p>\n
Die Schalker Fans h\u00e4tten ihm einen solchen Wechsel wohl verziehen. Turin oder London h\u00f6rt sich einfach zu verf\u00fchrerisch an. Er w\u00e4re wohl „ihr Junge in Europa“ gewesen.<\/p>\n
Von solchen Angeboten tr\u00e4umt jeder Jung-Profi. Und was macht Julian Draxler? Er geht nach Wolfsburg. Er soll dort Kevin De Bruyne ersetzen. Zudem winkt dem VfL im Jahr 2015 eine rosige Zukunft: Zweiter der abgelaufenen Saison und DFB-Pokal-Sieger.<\/p>\n
Das schien Julian Draxler \u00fcberzeugt zu haben. Auch wenn durch die Abg\u00e4nge von Perisic und De Bruyne durchaus abzusehen war, dass Wolfsburg die Erfolge der Vorsaison nur schwer wieder erreichen w\u00fcrde.<\/p>\n
So fand sich Draxler Anfang September letzten Jahres in der „Stadt des KdF-Wagens“ (ja, so hie\u00df Wolfsburg in Deutschlands dunkelster Stunde wirklich) wieder. Wolfsburg ist keine glamour\u00f6se Stadt. Ihr fehlt der Esprit anderer Bundesliga-St\u00e4tten. Wolfsburg ist schlicht keine Stadt f\u00fcr einen jungen Spieler Anfang 20.<\/p>\n
Einzig an einer Sternstunde des VfL durfte Draxler mitarbeiten: Am 2:0-Erfolg der Niedersachsen gegen Real Madrid im April 2016. Ein wahrlich besonderes Spiel, das vielen Wolfsburger Anh\u00e4ngern auch in Krisen-Zeiten das Herz w\u00e4rmt.<\/p>\n
Solche Spiele reichten dennoch nicht, um Draxler vollends vom Verein zu \u00fcberzeugen. Er wollte wechseln. Ein verst\u00e4ndlicher Wunsch, doch er w\u00e4hlte den denkbar ung\u00fcnstigsten Weg, seinen Wunsch den Verantwortlichen zu vermitteln: Ein Zeitungsinterview. Provokation pur. Ein Lehrst\u00fcck dar\u00fcber, wie man mit Wechselw\u00fcnschen nicht umgehen sollte.<\/p>\n
Nun also der Wechsel im Winter. Es ist Paris Saint-Germain geworden. Ein weiterer dieser Plastik-Klubs. Es wird sich zeigen, ob sich Draxler im Ausland leichter tut. Er wird nicht mehr so im Fokus der deutschen \u00d6ffentlichkeit stehen, wie dies in Wolfsburg bisweilen der Fall war, es werden jedoch auch h\u00f6here Erwartungen seitens des Klubs an ihn herangetragen werden.<\/p>\n
Der bevorstehende Wechsel ist das Ende eines gro\u00dfen Missverst\u00e4ndnisses. Der VfL glaubte einen stabilen Leistungstr\u00e4ger verpflichtet zu haben. Draxler glaubte mit dem VfL die Chance auf Titelgewinne zu haben. Beide lagen falsch.<\/p>\n
Draxler wird wohl kaum mehr zur Lichtgestalt idealistischer, vereinstreuer Fu\u00dfball-Traditionalisten werden. Jedoch verdient auch er eine zweite Chance. St\u00e4ndige moralisierende Kritik kann einen Spieler brechen. Dass Julian Draxler dies wiederf\u00e4hrt, w\u00e4re Fu\u00dfball-Deutschland nicht zu w\u00fcnschen.<\/p>\n
Draxlers Geschichte fasziniert, weil sie einem uralten Narrativ folgt: Ein Junge zieht aus und sucht sein Gl\u00fcck, scheitert jedoch kl\u00e4glich. Ein Motiv in dem sich wohl jeder an einem Punkt seines Lebens wieder findet.<\/p>\n
Zumindest ich finde mich in diesem wieder.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
Der verstorbene Alt-Kanzler Helmut Schmidt sagte einmal: „Opportunismus ist zum Kotzen, aber er ist kein Monopol der Politiker.“ Stimmt \u2013 Opportunisten begegnen uns tagt\u00e4glich. In der Uni ist es das M\u00e4dchen, das in der ersten Reihe sitzt und \u00fcber jeden Witz des Dozenten lacht, als h\u00e4tte sie zum ersten Mal „Das Leben des Brian“ gesehen. In der Musikwelt ist es der K\u00fcnstler, der sein Independent- f\u00fcr ein Major-Label verl\u00e4sst. Und auch in der Welt des Fu\u00dfballs gibt es Opportunisten wie Sand am Meer. Julian Draxler ist einer von ihnen.<\/p>\n","protected":false},"author":5,"featured_media":5615,"comment_status":"open","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[8],"tags":[22,28],"yoast_head":"\n