Warum die „Dreifachbestrafung“ genau richtig ist

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In den letzten Wochen führte eine Regelung gleich mehrfach zu intensiven Diskussionen unter den Fußballfans: Die sogenannte Notbremse. Diskutiert wird vor allem über den Sinn der Regel, einen Platzverweis und einen Elfmeter gleichzeitig auszusprechen, so wie dies letztens bei Jerome Boateng, Florian Hartherz oder Nuri Sahin der Fall war bzw. bei letzterem hätte sein müssen. Inside 11 klärt auf, wie diese Regel zustande kommt und stellt klar, dass sie in ihrer Form weitgehend alternativlos ist.

„Abgepfiffen“ befasst sich mit den Aufregern der Bundesliga. Seien dies brutale Fouls, fatale Schiedsrichter-Entscheidungen oder andere Situationen, die die Gemüter erhitzen und emotionale Diskussionen auslösen. Inside 11 versucht, einen neutralen Standpunkt zu wahren und besagte Szenen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Ein besonderes Augenmerk gilt der regeltechnischen Beurteilung.

Eine „Dreifachbestrafung“ gibt es nicht

Zunächst muss gesagt sein, dass es nicht um eine dreifache Bestrafung geht, zumal es sich um Akte auf verschiedenen Ebenen handelt. Der fällige Elfmeter nach einem Foul im Strafraum ist keine Bestrafung für die gegen die Regeln verstoßende Mannschaft, sondern lediglich die Spielfortsetzung.

Nach einem Foulspiel wird mit direktem Freistoß weitergespielt. Keine Strafe soll dies sein, sondern lediglich die Angabe, wie das Spiel fortzusetzen ist. Im Strafraum wird die Fortsetzung aufgrund der Nähe zum Tor und der damit einhergehenden Gefährlichkeit zum Elfmeter. Wenn schon dürfte dieser als Belohnung für das benachteiligte Team verstanden werden, nicht als Strafe.

Der zweite Teil ist der Platzverweis. Die „Notbremse“, also das Zunichtemachen einer klaren Tormöglichkeit, wird als grobe Unsportlichkeit gehandhabt (im Gegensatz zum „taktischen Foul“, das eine einfache Unsportlichkeit darstellt). Grobe Unsportlichkeiten sind mit einem Platzverweis zu ahnden. Dies erscheint sinnvoll, da durch die Notbremse sehr stark ins Spielgeschehen eingegriffen wird.

Der Platzverweis ist dann eine Strafe, eine Sanktion, allerdings ist sie nicht an die Mannschaft gerichtet, sondern an den fehlbaren Einzelspieler. Er wird für sein Verhalten vom weitern Spielgeschehen ausgeschlossen. Selbstverständlich trifft dies aber auch seine Mannschaft.

Es folgt nach jedem Platzverweis auch eine Sperre von mindestens einem weiteren Spiel. Eine Notwendigkeit in den Augen der Verbände, damit die Spieler sich gegen Spielschluss nicht bereitwillig rote Karten einhandeln. Auch dies ist eine Strafe gegen Spieler und Mannschaft. Dem Akteur gibt sie gewissermaßen – wie in der Schule – Zeit, sein Verhalten zu überdenken und der Verein kann auf diesen Spieler nicht zurückgreifen. Im Sinne der Regel ist insgesamt also höchstens von einer „Doppelbestrafung“ auszugehen.

Eine Alternative ist nicht in Sicht

Die Alternative, die stetig bemüht wird, ist eine ganz simple. Bei einem derartigen Vergehen innerhalb des Strafraums soll eine gelbe Karte im Verbund mit dem Elfmeter ausreichen und der Platzverweis nur noch bei Fouls außerhalb des Sechzehners ausgesprochen werden.

Befürworter argumentieren, dass mit einem Elfmeter ja die Torchance wiederhergestellt wird und man damit auch auf den Platzverweis verzichten kann. Eine solche Änderung des Regelwerks klingt auf den ersten Blick nicht unlogisch, wäre aber in den Auswirkungen fatal.

Die persönliche Sanktion muss bleiben

Ein Spieler, der einer anderen Mannschaft eine große Torchance – manchmal gar ein sicheres Tor – klaut, muss bestraft werden. Es kann nicht im Sinne des Fußballs sein, dass solch ein unsportliches Verhalten Akzeptanz im Regelwerk findet. Es darf nicht attraktiv oder gar lohnenswert erscheinen, vermeintlich sichere Tore zu zerstören.

In der angestrebten Alternativregelung wäre dies ja durchaus der Fall: einen alleine auf das leere Tor zulaufenden Spieler im Strafraum umzuholzen gar das einzig Logische. Denn man hätte nichts zu verlieren, sondern nur zu gewinnen. Eine Verwarnung juckt den fehlbaren Spieler wenig und die angreifende Mannschaft hätte statt einem sicheren Tor lediglich einen Elfmeter zugute, wären also klar benachteiligt.

Das muss sich ein Verteidiger in der jetzigen Regelung doch zweimal überlegen, zieht er sich doch selbst für dieses und mindestens das nächste Spiel aus dem Verkehr. Entsprechend wird er auch weniger bereitwillig zum Foulspiel tendieren und das Ziel des Regelwerks wäre erreicht.

Luis Suarez zeigt dem Regelwerk die Grenzen auf

Auch sonst hapert es in der gewünschten Alternative an einigen Punkten und Lücken, die bereits das aktuelle Regelwerk leider innehat, würden noch verstärkt. Ein gewichtiges Kontra ist, wie bereits oben angeführt, dass ein Elfmeter nicht jede Torchance zu ersetzen vermag und es Konstellationen gibt, in der die angreifende Mannschaft sportlich krass in Mitleidenschaft gezogen wird. Während für einen gefoulten Stürmer, der noch den Torhüter hätte überwinden müssen, ein Elfmeter ein angemessener Ersatz seiner Torchance sein dürfte, vermag der Strafstoß ein vermeintlich sicheres Tor nicht zu ersetzen.

Klar vor Augen führt dies dem Regeltüftler eine Szene der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Im Viertelfinalspiel Ghana gegen Uruguay griff Luis Suarez in der letzten Minute der Verlängerung zum unsportlichsten Mittel überhaupt: er wehrte einen Kopfball der Afrikaner auf der Torlinie mit der Hand ab. Dieses Tor hätte den sicheren Sieg bedeutet, während Asamoah Gyan unter dem enormen Druck, die Erwartungen eines ganzen Kontinents auf seinen Schultern zu wissen, vom Elfmeterpunkt aus scheiterte.

Im folgenden Elfmeterschießen schied Ghana überdies aus. Der Fall ist dramatisch genug, nun stelle man sich aber zusätzlich vor, Suarez hätte weiterspielen dürfen. Möglicherweise hätte er in der Folge den entscheidenden Elfmeter verwandelt. Und wäre überdies auch im Halbfinale spielberechtigt gewesen. Könnte man Fairplay noch mehr mit Füßen treten? Wohl kaum.

„Technisches Tor“ als fairste Lösung?

Interessant ist höchstens der Ansatz einer Minderheit, bei nach gesundem Menschenverstand sicheren Toren, die zunichte gemacht wurden, dennoch auf Tor zu entscheiden. Dies wäre im Suarez-Beispiel wohl die fairste aller Lösungen gewesen. Obwohl der Ball die Grundlinie nie überschritten hat, auf Tor für Ghana zu entscheiden. Doch wäre so eine Regelung umsetzbar?

Es bräuchte klare Kriterien nach denen ein Tor als sicher einzustufen wäre. Reicht es aus, dass ein Stürmer auf das leere Tor zuläuft, obwohl auch schon welche gestolpert sind oder ein leeres Tor verfehlt haben? Ist es genug, wenn der Ball auf das Tor zurollt und nicht mehr regelkonform von einem Spieler erreicht werden kann, auch wenn er durch einen Platzfehler seine Richtung durchaus noch ändern könnte?

Mehr Fragen als Antworten

Fragen über Fragen und wie gehabt würde eine solche Beurteilung Sache der Schiedsrichter auf dem Platz bleiben, solange keine technischen Hilfsmittel vorhanden sind. Weitere strittige Tatsachenentscheide wären die unweigerliche Folge. Die Schiedsrichter sind bereits gut damit beschäftigt zu beurteilen, ob erstens überhaupt ein Foul oder Handspiel vorliegt und zweitens, ob auch eine klare Torchance gegeben war. Deren Belastung und damit Fehleranfälligkeit zusätzlich mit der Beurteilungsfrage zu erhöhen, ob denn nicht nur eine klare Torchance, sondern auch ein „sicheres“ Tor vereitelt wurde, scheint keine gute Idee.

Übeltäter brauchen keinen Sonderschutz

Überzeugende Alternativen zur aktuellen Regelung gibt es also keine. Und eigentlich ist das auch ganz gut so. Am sichersten und besten soll immer noch jener Spieler fahren, der schlichtweg keine Foulspiele begeht – schon gar keine, um eine Torchance des Gegners zu zerstören. Und wer sich dennoch dazu entschließt, muss mit den Folgen eines Platzverweises und einer Sperre leben müssen. Besonderen Schutz verdienen eher die Geschädigten und nicht die Übeltäter.

„Abgepfiffen“ befasst sich mit den Aufregern der Bundesliga. Seien dies brutale Fouls, fatale Schiedsrichter-Entscheidungen oder andere Situationen, die die Gemüter erhitzen und emotionale Diskussionen auslösen. Inside 11 versucht, einen neutralen Standpunkt zu wahren und besagte Szenen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Ein besonderes Augenmerk gilt der regeltechnischen Beurteilung.

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