Der VfL Wolfsburg erlebt zurzeit einen heftigen Umbruch. Es geht hierbei jedoch nicht nur um die Spieler – wie zum Beispiel bei Darmstadt oder Dortmund – sondern auch um das Selbstverständnis. Denn während sich durch die Transfers an den Rollen von Darmstadt und Dortmund wenig bis gar nichts geändert hat, weiß man beim VfL noch nicht so recht, wohin die Reise geht.
Die Transferstrategie der Wölfe ist ein großer Kompromiss. Die abgegebenen Spieler wie Naldo, Kruse oder Schürrle direkt zu ersetzen gelang nicht, aufgrund von fehlendem internationalen Wettkampf. Dem kompletten Neuaufbau mit hungrigen, jungen Spielern steht der Anspruch im Weg, jenen fehlenden internationalen Wettkampf im nächsten Jahr zu verhindern.
So entschied man sich für den Mittelweg, holte sowohl entwicklungsfähiges (Gerhardt, Brekalo, Osimhen) wie auch gestandenes Personal (Didavi, Bruma, Blaszczykowski).
Ausverkauf statt neuer Ära
Eine Ausgangslage wie man sie sich zum Ende der Saison 2014/15 nicht ansatzweise hätte vorstellen können. Das Team von Dieter Hecking gewann den DFB-Pokal und wurde Zweitplatzierter in der Bundesliga. Mit viel Qualität und finanziellen Ressourcen ausgestattet erkannten einige im VfL gar eine langfristige Konkurrenz für den FC Bayern
Diese Perspektive sahen anscheinend vor allen Dingen die Spieler nicht. Denn bereits vor diesem Transferfenster gingen mit Kevin De Bruyne, Ivan Perisic und Timm Klose Spieler, die nicht adäquat ersetzt werden konnten.
Momentan herrscht Aufbruchsstimmung in der Autostadt und zwar die der negativen Natur. Anscheinend denken viele Spieler über einen Wechsel nach. Selbst der vor kurzem von Atletico Madrid fest verpflichtete Joshua Guilavogui verweigerte ein Bekenntnis zu seinem neuen Klub, an den er vorher bereits ausgeliehen war.
Die unter anderem als Ersatz verpflichteten Schürrle und Kruse haben schon jetzt wieder das Weite gesucht. Julian Draxler äußerte seinen Wechselwunsch ebenfalls, wenn auch vergeblich.
Die Causa Draxler
Julian Draxler ist vor einem Jahr nach Wolfsburg gekommen, um einen Neuanfang zu wagen. Hinter sich ließ er enttäuschte Schalker, die noch kurze Zeit vorher jubelten, als die Nachricht von Draxlers Vertragsverlängerung auf LKWs durch den Ruhrpott rollte.
Hinter sich ließ er jedoch auch den Druck, immer der sein zu müssen, der Spiele entscheidet. Ihm wurde mangelnde Konstanz vorgeworfen. Und so suchte sich Draxler einen Ort, an dem er womöglich nicht ganz vorne stehen würde, sondern sich in Ruhe entwickeln kann.
Diesen fand er in Wolfsburg. Draxler stach als Einziger aus der Wolfsburger Mannschaft, die ein alles in allem katastrophales Bundesliga-Jahr spielte, heraus. Vor allen Dingen in der Champions League, wo die Wölfe mit dem Viertelfinaleinzug zum Überraschungsteam der Saison wurden und dort den späteren Sieger Real Madrid am Rande einer Niederlage hatten.
Der Rest ist Durchschnitt
Auf das solide erste Jahr beim VfL folgte für Draxler eine gute EM, die ihn auch international wieder ins Schaufenster stellte. Draxler suchte dort händeringend einen Käufer – bis der VfL verlauten ließ, der 22-jährige Weltmeister werde nicht abgegeben.
Man kann den Wechselwunsch Draxlers ja irgendwie verstehen. Vor einem Jahr schloss er sich einem Team an, das wusste wie man die Bayern ärgert, und trotz des De-Bruyne-Abgangs Titelchancen hatte. Darüber hinaus lockte die Champions League die für Draxler auch ein Grund war, das grün-weiße Trikot der VW Werksmannschaft überzustreifen. Ein Jahr später steht er vor einem Scherbenhaufen. Keine Champions League, nicht mal mehr Europa League, nahezu alle Stars sind weg.
In den kommenden zwölf Monaten hat er noch mehr Druck als er auf Schalke je hatte, schließlich liegt auf Draxlers Schultern der komplette Verein.
Darüber hinaus ist sein Standing innerhalb Deutschlands weiter gewachsen, man weiß was er kann. Nun muss er es beweisen: Er ist der herausragende Spieler im neuen VfL-Kader, der größtenteils Bundesliga-Durchschnitt repräsentiert. Die Wolfsburger Nummer 10 ist der klare Go-to-Guy.
Und so könnte es sein, dass sich die neue Situation in der Autostadt als vorteilhaft für Draxler entpuppt. Wenn er sein Potential abruft, kann er eine fabelhafte Saison spielen und somit den VfL nach Europa führen. Er muss es quasi im Alleingang tun, doch gelingt ihm das, werden ihm die selben Wölfe-Fans frenetisch zujubeln die ihn momentan noch verfluchen.
Absturz oder Auferstehung?
Ebenjene Fans sind ihre wechselhaften Wolfsburger schon gewohnt. So belegte der VfL in den letzten zehn Jahren Platz 15, 5, 1, 8, 15, 8, 11, 5, 2 und schließlich wieder 8. Diesem Blick in die Historie nach zu urteilen, müsste in diesem Jahr wieder ein erfolgreiches Jahr oder aber der totale Absturz folgen. Das Potential des Kaders „reicht“ für beides.
Wenn beispielsweise Ricardo Rodriguez wieder zu alter Form findet, Blaszczykowski spielt wie einst beim BVB, Julian Draxler als Leader funktioniert und der ein oder andere junge Spieler überrascht, ist für den VfL das Tor nach Europa offen.
Sollten sich die Wölfe jedoch nicht im Stande sehen, Mario Gomez gekonnt einzubinden, zuviel von Brekalo und Co. erwarten und in Gustavo einen weiteren wichtigen Baustein ersatzlos ziehen lassen, dürfte die Saison 2014/15 wohl langfristig als Ausreißer nach oben in Erinnerung bleiben – im sonst allzu grauen Liga-Alltag des VfL Wolfsburg.