Es ist wieder soweit. Die Zeit ist gekommen, in der ein jeder Bundesliga-Club zu träumen, zu bangen oder zu hoffen beginnt. Vier Liga-Duelle noch vor der Brust, europäischen Spitzensport oder das Abstiegsgespenst in den Köpfen. Es ist aber auch die Zeit der Planungen für die kommende Spielzeit – sei es für die Königsklasse oder für die „wahrscheinlich stärkste Zweite Liga der Welt“. Eine Institution im deutschen Vereinsfußball, welche sich neben den angesprochenen Herausforderungen zudem vor einem großen Umbruch befindet, ist zweifelsfrei Borussia Dortmund.
Wir schreiben den 17. Spieltag der Saison 2014/2015. Nach einer weiteren dürftigen Leistung gegen einen Mitkonkurrenten aus dem Tabellenkeller und der daraus resultierenden 1:2-Niederlage gegen den SV Werder Bremen, befindet sich Borussia Dortmund am sportlichen Tiefpunkt. Nur durch ein mehr geschossenes Tor gegenüber dem SC Freiburg überwintern die Westfalen nicht auf dem letzten Tabellenrang. Viele Nationalspieler laufen ihrer Form chronisch hinterher und auch Trainer Jürgen Klopp betont immer wieder den Ernst der Lage. Aus Richtung der Geschäftsführung hört man schon lange nichts mehr von der Qualifikation für die Champions-League, sondern spielt im stillen Kämmerlein gar den „worst case“ durch. Aber soweit wird es aller Voraussicht nach nicht kommen, denn in der Rückrunde erleben die Anhänger der Schwarz-Gelben wieder einen anderen BVB. Und nun ist plötzlich wieder die Europa-League in Sicht.
Viele Fragen stellen sich aber trotz alledem: Welche Auswirkungen hätte eine Saison ohne die fest eingeplante Teilnahme am internationalen Geschäft? Müssen eventuell sogar Stars verkauft werden, um mögliche finanzielle Einbußen abzufedern? Wie entwickelt sich „das neue Borussia Dortmund“ ohne Galionsfigur Jürgen Klopp?
Hartes Restprogramm für Schwarz-Gelb
Es warten die Wochen der Wahrheit auf Hummels, Reus und Co., denn schließlich tanzt man nach dem furiosen Elfmeter-Krimi im DFB-Pokal im prestigeträchtigen Duell mit den Münchener Bayern nun weiterhin auf zwei Hochzeiten. Somit muss man den Fokus neben den verbliebenen vier Bundesliga-Spielen auch auf das Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg legen. Und auch das Restprogramm wird es in sich haben: So trifft man bereits am kommenden Samstag auf einen direkten Konkurrenten im Kampf um die Euro-League-Quali – die TSG Hoffenheim. Nicht weniger schwierig wird das Aufeinandertreffen mit der unter Neu-Coach Pal Dardai wiedererstarkten Hertha aus Berlin. Die Hauptstädter haben sich noch immer nicht aller Abstiegssorgen entledigt und werden um jeden Ball fighten.
Es folgt, mit der Auswärtspartie beim VfL Wolfsburg, die wohl höchste Hürde: Ein Blick auf die Statistik genügt und ein jeder wird sich der Größe dieser Aufgabe bewusst. Nicht eine einzige Begegnung verloren die Wölfe in der heimischen Arena und führten nicht nur den Rekordmeister beim 4:1-Erfolg zum Rückrundenstart eindrucksvoll vor. Zum Abschluss der Spielserie ist schließlich der SV Werder Bremen zu Gast im Signal-Iduna-Park. Auch die Norddeutschen ergriffen in der Rückrunde, ähnlich wie der BVB, die Flucht aus dem Tabellenkeller und belegen nun punktgleich mit Dortmund den neunten Platz. Im Rennen um die internationalen Plätze deutet also alles auf einen Sechskampf zwischen Schalke 04, dem FC Augsburg (jeweils 42 Punkte), der TSG Hoffenheim (40), dem FSV Mainz 05 (37) und den angesprochenen Bremern bzw. Borussen (je 39) hin.
Ohne Europa – ohne mich!
Doch was geschieht, wenn der ambitionierte Verein aus dem Ruhrpott den Sprung auf die internationale Bühne verpasst? Droht dann der Ausverkauf einiger Stars? Ohne Zweifel würde das Verpassen der Euro-League dem Renommee einen Schaden zufügen. Doch was bereits vor Monaten hinter hervor gehaltener Hand getuschelt wurde, hat sich nun als cleverer Management-Schachzug der BVB-Oberen bestätigt. So haben sich die Schwarz-Gelben zumindest finanziell gegen den Ausfall der Champions-League-Einnahmen versichert und müssten im Falle des Falles sicher nicht am Hungertuch nagen. Dabei handelt es sich nicht nur um Peanuts: Immerhin konnte die Borussia im letzten Jahr Prämien in Höhe von 34,7 Millionen Euro verzeichnen.
Aber auch sonst ist man finanztechnisch nach den Einnahmen aus den Meisterjahren 2011 und 2012, dem Erreichen des Endspiels der Königsklasse 2013 sowie der für internationale Topclubs eher verhaltenen Transferpolitik gut aufgestellt und wird auch eine „rein nationale Saison“ verkraften können. Nichtsdestotrotz wird man sich wohl oder übel von einigen Großverdienern trennen müssen, auch weil eine Spielzeit ohne die Champions-League für den ein oder anderen eine verschenkte sein könnte.
So geistern immer wieder Meldungen durch die Medien, dass beispielsweise Ilkay Gündogan den Schritt auf die Insel wagen möchte und auch Mats Hummels ist in ganz Europa gefragter denn je. Hinzu kommen Akteure, die sich aufgrund durchwachsener Saisonleistungen nicht gerade für weitere Aufgaben empfohlen haben. Da wären zum einen Mittelfeldmotor Henrikh Mkhitaryan und Neuzugang Ciro Immobile. Beide würden zudem nicht in das angestrebte Muster von Neu-Coach Thomas Tuchel passen, welcher sich schon zu seiner Mainzer Zeit die Förderung junger Potentialspieler auf die Fahnen geschrieben hatte.
Pokalsieg als idealer Neuanfang?
In dieses Schema würden zufälligerweise auch zwei 05er passen, die der künftige Übungsleiter ja bereits bestens kennt. So werden sowohl der Österreicher Julian Baumgartlinger, als auch U-21-Nationalspieler Johannes Geis mit dem BVB in Verbindung gebracht. Des Weiteren haben die Ostwestfalen wohl ihre Fühler nach einem neuen Linksaußen ausgestreckt: Jesé Rodriguez spielt bei den Königlichen von Real Madrid nur eine untergeordnete Rolle und könnte schon in der kommenden Spielzeit im Signal-Iduna-Park zum Tempodribbling ansetzen.
Viel umworben ist derzeit auch Hoffenheims Nationalspieler Kevin Volland, doch von der TSG-Vereinsführung wurde ein Wechsel im Sommer bereits mehrfach dementiert. Auch das 1860-Talent Julian Weigl, welcher vor der aktuellen Saison als jüngster Kapitän der Münchener (damals 18 Jahre alt) in die Geschichte einging, befindet sich im erweiterten Blickfeld der Scouts.
Es bleibt abzuwarten wie sich die personelle Lage des Tabellenneunten in Zukunft gestalten wird und ob es hinsichtlich möglicher Transfers im kommenden Jahr nur eine Light-Variante zu präsentieren gibt.
Fakt ist: Um einen Großteil der angesprochenen Probleme zu umgehen, werden die Schwarz-Gelben alles geben, damit die sportlich missratene Saison 2014/2015 zumindest versöhnlich abgeschlossen wird. Hierzu bietet sich neben einem erfolgreichen Abschluss der Aufholjagd in der Bundesliga auch die Chance auf den DFB-Pokalsieg. Denn wenn am 30. Mai die Wölfe und die Dortmunder das Berliner Olympiastadion betreten, wird nicht nur um den Pott gespielt, sondern auch um einen Platz in der UEFA Euro-League. Ein Bonus, der nicht zu verachten ist, will man vermeiden, dass einige Topspieler dem Club den Rücken kehren.
„Noch einmal um den Borsigplatz fahren“
Spannend bleibt außerdem wie das eingespielte Mannschaftsgefüge, Borussias Chefetage und vor allem die impulsive „Kurve Süd“ nach der siebenjährigen Klopp-Ära den Nachfolger Thomas Tuchel in Empfang nehmen wird. Schließlich tritt der Ex-Mainzer ein wirklich schweres Erbe an: zwei Meistertitel, ein Pokalsieg, ein Champions League Finale und unzählig viele unvergessene Momente füllen die Vita vom scheidenden Coach. Nicht zuletzt das leidenschaftliche, exzentrische, manchmal gar übertrieben emotionale Auftreten hat ihn stets charakterisiert und den BVB bis ans Optimum gepusht. Nun kommt mit Tuchel, zumindest vom Typ Mensch, scheinbar das komplette Gegenstück. Ein eher ruhig wirkender Taktikfuchs, der schon bei den Rheinländern immer wieder für Überraschungen gesorgt hat.
So will „TT“ in Dortmund gar nicht erst probieren, in die zu groß scheinenden Fußstapfen von Kloppo zu treten, sondern von vornherein seinen eigenen Spielstil anbringen. Weg vom Konter-Fußball, hin zur Ballbesitz-Dominanz. Eine Grundausrichtung, welche ja bereits in Mainz mit einem mittelklassigen Kader einwandfrei funktioniert hatte. Auch für die Fans wird es ein großer Schritt, schließlich vermittelte der langjährige Rudelführer mehr das Gefühl eine große Familie zu sein und gemeinsam alles erreichen zu können. Es beginnt ein neues Kapitel bei Borussia Dortmund – ein Kapitel mit einem neuen Gesicht, vielen Veränderungen, aber im Grunde hat man doch das Gefühl, dass dem BVB 09 diese Veränderung gut tun wird.
Schlussendlich ist dem Entertainer Klopp dieser letzte Auftritt zu gönnen: „Noch einmal mit dem Lastwagen um den Borsigplatz fahren, das wäre ziemlich lässig.“