Im Jahr 1848 ins Leben gerufen, Gründungsmitglied der Bundesliga, deutscher Meister, Pokalsieger, eine riesige Fanszene und eine der besten Talentschmieden. Und auf der anderen Seite: Chaos über Chaos. Kurz gesagt: Der TSV 1860 München. Inside 11 beleuchtet die Anfänge des Vereins, den weitere Werdegang und die aktuelle Situation der Sechziger.
Die Gründung: Das erste Fiasko
Es war der 15. Juli und man schrieb das Jahr 1848, als sich einige Herren um den Wiener Adolf Schwarz im Saal der Buttleschen Brauerei zum Bayerischen Löwen zusammenfanden und beschlossen, den sogenannten „Münchner Turnverein“ ins Leben zu rufen. Viel Zeit zum Turnen blieb nicht, denn nur ein Jahr später wurde der Verein wieder verboten. König Maximilian der Zweite hielt Turnvereine für „Anstalten der Verpestung“, die Münchner Polizei verbot dem Verein vorerst das Lehren von Turnübungen. Kurz darauf verkündete eine polizeiliche Mitteilung, der Verein hätte sich aufgelöst.
Die Münchner Turner aber konnten es nicht sein lassen: Sie glaubten weiter an ihre Tugenden und übten an selbstgemachten Geräten in der Grafeneiche in Obersendling weiter. Doch die Polizei witterte den Widerstandsgeist der Sportler, fand die Geräte, zersägte sie und verbrannte sie vor aller Augen auf dem Hof der Grafeneiche. Gedemütigt und niedergestreckt, zwei Begriffe, die auch den Löwen des 21. Jahrhunderts bekannt vorkommen dürften.
Zweiter Anlauf
Als sich das Misstrauen auf das Turnen der bayerischen Aristokraten etwas gelegt hatte und die Lage allgemein ruhiger wurde, hieß der Treffpunkt im Frühjahr 1860 „Wirtshaus zu den drei Linden“. Mit dabei waren etliche, die auch schon 1848 zusammengessesen waren. Und da man aus Fehlern lernt, nannte man sich zunächst nicht „Turnverein“ sondern „Verein zur körperlichen Ausbildung“. Dies war das Erfolgsrezept – nach einem Sängerkreis und einer Schwimmschule wurde 1899 die Fußballabteilung ins Leben gerufen.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde ein Meilenstein gelegt: 1911 erbaute man das legendäre Stadion an der Grünwalder Straße, damals noch Heinrich-Zisch-Stadion, das noch heute besteht und seit einigen Jahren Gegenstand der aktuellen Konflikte ist. Zwanzig Jahre später waren die Löwen kurz davor, den großen Wurf zu landen. Doch im Finale der deutschen Meisterschaft unterlag man Hertha BSC mit 2:3. Kurz vor dem Ziel dieses verpassen – auch so ein Leitsatz, der sich durch die Geschichte der Sechzger zieht.
Beschämende Zeiten brechen an
So konnte es eigentlich weitergehen: Die Löwen erregten landesweit Aufmerksamkeit und waren drauf und dran, sich ein gutes Image aufzubauen. Doch dann schlug man sich auf die Seite des Nationalsozialismus – damals natürlich zielführend, aus heutiger Sicht aber gänzlich schädlich fürs Image. Nachdem die meisten Führungspositionen im Verein durch NS-Männer besetzt waren, sollte dies auch mit der Fußballabteilung geschehen.
Diese jedoch sträubte sich und stellte sich vor die jüdischen und „nicht-arischen“ Mitglieder der Sparte. Schlussendlich aber übernahm der Münchner NSDAP-Rädelsführer Sebastian Gleixner, einer der rücksichtslosesten Männer, wie es hieß, das Ruder. Zwiespältigkeit im Verein – wieder einmal ein Szenario, das nicht zum letzten Mal Thema sein sollte.
Heute distanziert sich der TSV 1860 München klar von den damaligen nationalsozialistischen Bewegungen. Die Bewegung „Löwenfans gegen rechts“ ist stark ausgeprägt und zusätzliche Aufklärung verschaffte das Buch „Die Löwen unterm Hakenkreuz“ von Anton Löffelmeier.
Der Ruhm des 1942 gewonnenen „Tschammerpokals“, dem Vorgänger des DFB-Pokals, darf also in Frage gestellt werden, doch der Ruhm der folgenden Erfolge ist unumstößlich: 1963 Mitbegründer der Bundesliga, 1964 Pokalsieger, 1965 im Finale des Europapokals, das – wer hätte es gedacht – verloren wurde, 1966 deutscher Meister, 1967 Vizemeister, und dann – es kam, wie es kommen musste – der Absturz.
Der Knock-Out von 1982
Nein, es war eben nicht so, dass auf eine gute eine mittelmäßige Zeit und auf eine solche eine schlechte folgt. Auf die beste Zeit des TSV 1860 München folgte seine schlechteste. Zwar mit Hoffnungsschimmern, mit Lichtblicken, mit kurzweiligen Hochs – doch alles in allem, war es ein großes Tief. Nach dem Abstieg in die zweite Liga 1970 scheiterte 1860 jährlich knapp am Wiederaufstieg. Aktuell erlebt man ein Déjà-vu, doch damals dauerte es „nur“ sieben Jahre, bis der TSV wieder erstklassig spielte. Allerdings stieg man sofort wieder ab und dann wieder auf. Zwei Jahre später schon wieder ab. Den damaligen Spielern muss schwindlig gewesen sein von der rasanten Berg- und Talfahrt.
1982 dann der absolute Knock-Out: Lizenzentzug wegen Misswirtschaftens – auch dieser Begriff kommt dem Löwenfan von heute wohl ziemlich bekannt vor – und der Zwangsabstieg in die Bayernliga. 14 Spieler verließen den Verein, darunter hoffnungsvolle Talente wie Rudi Völler.
Und die Bayernliga, die vor Start der Spielzeiten mächtig Respekt hatte vor dem neuen Gegner, wurde anfangs dann aber nicht im Geringsten dominiert. Nein, sogar im Abstiegssumpf steckte der früher noch so stolze Löwe zeitweilig fest. Zeit, dass es von Null auf Hundert ging. Wenn es umgekehrt klappt, muss es so ja auch gehen – aber eben nur bei Sechzig.
Legende Lorant schafft das Unmögliche
Der Mann, der es schließlich schaffte, das Wunder zu vollbringen, war Werner Lorant. Lorant wurde 1948 als eines von sieben Kindern in Welver geboren und lernte Maler, nebenbei spielte er hochklassig Fußball. 1992 wurde er vom damaligen Löwenpräsidenten Karlheinz Wildmoser verpflichtet und markierte somit den Beginn einer neuen Ära. Nach 13 Jahren Abstinenz gehörten die Löwen nach einem legendären direkten Durchmarsch von der Bayernliga in die Bundesliga dieser an und sind bis heute das einzige Team, das dies jemals geschafft hat.
Und die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten: 1997 UEFA Cup, 2000 Champions League. So erscheint es nur logisch, dass ein Trainer wie Lorant, dem heute noch viele Fans nachtrauern, das Gesicht der Erfolgsgeschichte hätte sein müssen. Doch was ist bei 1860 schon logisch? „Raubein“ Lorant geriet in hochkochende Konflikte mit dem exzentrischen Präsident Wildmoser und wurde 2001 entlassen. Seine Nachfolger, namentlich Peter Pacult, Falko Götz und Gerald Vanenburg, konnten an die Erfolge nicht anknüpfen und 2004 stiegen die Löwen in die zweite Liga ab. Dem war aber etwas Gewichtigeres vorausgegangen.
Wildmoser und die Stadionaffäre
Karlheinz Wildmoser stammt aus einfachen Verhältnissen. Der Metzger und süddeutsche Meister im Schwergewichts-Boxen entwickelte sich aber mit der Zeit zum Gastronomie-Riesen und baute sich ein lukratives Imperium in und um München auf. 1992 wurde er der Präsident der Löwen und schrieb die darauffolgende Erfolgsgeschichte mit. Dann aber trieb er den Verein dahin zurück, wo er wohl leider hingehört: Ins Chaos.
Bereits 2003 wurde Wildmoser Steuerhinterziehung vorgeworfen, er wurde zu einer Geldstrafe von 27.000 Euro verurteilt. Ein Jahr darauf zog er sich die Wut des Anhangs zu: Der Verein weigerte sich, das altehrwürdige Grünwalder Stadion auszubauen und zog in das Olympiastadion um. Doch nicht genug: Zusammen mit dem bei den Fans verhassten FC Bayern München bauten die Sechzger die Allianz Arena und mussten sich ab sofort die Spielstätte mit den Erzrivalen teilen. So weit, so gut.
Als hätte der Gegenwind nicht gereicht, geriet Wildmoser im Zusammenhang mit dem Stadionbau gemeinsam mit seinem Sohn in eine spektakuläre Schmiergeldaffäre, in die auch die Salzburger Baufirma Alpine verwickelt war. Dies bedeute nach zwölf Jahren das Ende seiner Präsidentschaft sowie Untersuchungshaft für Wildmoser senior, für den Junior gar viereinhalb Jahre Haft. Zudem betrieb Wildmoser in seinen letzten Jahren eine grandiose Misswirtschaft und hinterließ den TSV in einem desolaten Zustand.
Immer wieder droht die Insolvenz
Die wirtschaftliche Lage wurde immer bedrohlicher. 2006 war es so schlimm, dass sich die Vereinsführung gezwungen sah, die Anteile an der Allianz Arena dem FC Bayern zu verkaufen, um der Insolvenz zu entgehen. Der Bayern-Fan von heute brüstet sich gerne mit den Worten: „Ohne uns gäbs euch gar nicht mehr!“ Des Weiteren profitiert der TSV auch wenig von seiner Talentschmiede: Wegen den immerwährenden Geldsorgen ist man stets dazu gezwungen, junge, hoffnungsvolle Spieler zu verkaufen. Nur einige Beispiele sind Moritz Leitner, Sven und Lars Bender, Peniel Mlapa, Kevin Volland, Stefan Aigner oder auch Christian Träsch.
Auch früher war das schon der Fall, sowohl Franz Beckenbauer als auch Gerd Müller hatten in jungen Jahren schon bei 1860 unterschrieben, als der Lokalrivale doch noch dazwischen kam. 2009 war das drohende finanzielle Aus wieder so präsent, dass nur in letzter Sekunde das jordanische Bankmogul Hasan Ismaik mit einem Darlehen für die Rettung sorgen konnte. Deshalb wird 1860 seitdem häufig fälschlicherweise als „Scheichklub“ bezeichnet. Die beschämende 1860-Bilanz seit 2004: Sieben Präsidenten, elf Geschäftsführer, elf Trainer. Kaum ein Verein war in dieser Zeit so sehr von Zwiespältigkeiten erschüttert und geplagt wie der TSV.
Zwei Beispiele:
Der Fisch stinkt vom Kopf her. Und der Kopf ist bei uns der Präsident. Dieser Präsident (damals Albrecht von Linde) ist eine Schande. – Geschäftsführer Ziffzer im Jahr 2008
We need a new Sportchef (damals Florian Hinterberger)! – Investor Ismaik im Jahr 2013
Nach Ziffzers Ausspruch, dem deshalb von einigen Funktionären und Sponsoren Applaus gespendet worden war, wurde dieser noch in derselben Minute vor dem gleichen Publikum von von Linde fristlos gefeuert. Florian Hinterberger war 2013 nicht der Einzige, der vom Investor angefeindet wurde: Neben ihm mussten unter anderem Präsident Schneider und Geschäftsführer Schäfer den Hut nehmen.
Seit 2004 Zweitliga-Dino
Man schreibt die elfte Saison, in der sich 1860 nun in der zweiten Bundesliga befindet. Jedes Jahr wird aufs neue das Ziel Aufstieg ausgerufen, jedes Jahr schüren die Fans bis zuletzt Hoffnungen, jedes Jahr werden sie traditionell enttäuscht. Ist das nun anders? Der Verein ist seit dieser Saison so harmonisch geführt wie schon lange nicht mehr, in Ricardo Moniz zudem ein hoffnungsvoller Trainer mit richtungsweisender Philosophie installiert. Doch nun kassierten die Löwen zum Start der Saison gleich mal zwei Pleiten, zudem wurden fünf Stammspieler suspendiert.
Der Grund: Die Herren lästerten in angetrunkenem Zustand über den Verein. Verraten wurden sie von einem Taxifahrer, der eingefleischter 1860-Fan ist. Tja. Es kommt eben, wie es kommt, und es ist, wie es ist. Und bei Sechzig kommt es immer so, wie man nicht denkt. Oder um es treffend mit den Worten des Münchner Journalisten Armin Gibis zu sagen: „Kopf hoch, 1860. Die nächste Hiobsbotschaft kommt bestimmt.“