Dietmar Beiersdorfer ist für die Fans des Hamburger SV und für den Verein selbst zu einer Ikone geworden. Der Druck, der auf ihm lastet, ist enorm – ebenso wie die Erwartungen rund um seinen Wiedereinstieg beim Gründungsmitglied der Bundesliga. Eine zweite Saison mit der Gratwanderung am Abgrund können weder der Club noch sein Umfeld ertragen.
Fußballdeutschland hat nur kurz aufgemerkt, als der HSV am 15. Juli Bernhard Peters als neuen Jugendkoordinator vorgestellt hat. An jenem Tag war der Empfang der Nationalelf am Brandenburger Tor in Berlin, was interessierte da der altehrwürdige Hamburger Sportverein. Doch selbst wenn Peters‘ Berufung Aufmerksamkeit erzeugt hätte: sechs Tage zuvor hatte der Club Dietmar Beiersdorfer als Vorstandsvorsitzenden einberufen. Und der Name Beiersdorfer überstrahlt beim HSV zurzeit alles. Dem gebürtigen Fürther selbst, als Profi für den HSV, Werder, Köln und Reggiana am Ball, ist das sicher nicht so recht. Beiersdorfer pflegt eine sympathische und eher zurückhaltende Art.
Interner Umbau mit Bedacht
Nach seinem Amtsantritt hatte Beiersdorfer Dinge gesagt, mit denen sich jeder andere Mann in seiner Position beim HSV Feinde geschaffen hätte. Ein richtiger Verein wolle der HSV sein, Spieler ausbilden, sie verbessern und damit erfolgreich sein. Das erneute Darlehen von Mäzen Klaus-Michael Kühne – dieses Mal sollen es 17 Millionen Euro sein – schadet dabei sicher nicht, der Unterschied zwischen Beiersdorfer und seinen Vorgängern manifestiert sich jedoch genau darin. Zum einen hätte der HSV noch vor kurzem den kompletten Betrag mit Getöse investiert. Und zum anderen keinen Kanal gescheut, um vollmundig darüber zu sprechen, nach dem Motto „gib viel Geld aus und rede darüber“. Doch das ist Beiersdorfer Sache nicht.
Seinen Vorgängern im Amt hätte derlei Realitätssinn, verbunden mit einer gewissen Sparsamkeit, viele Gegner eingebracht, doch Beiersdorfer ist einer, dessen Art von Hause aus mehr versöhnt statt spaltet. Er holt sich im Dickicht der diversen HSV-Gremien mal hier Rat und lässt mal dort mit sich diskutieren. Den internen Umbau geht der Franke behutsam an, fährt beim Thema Trainer bis jetzt jedoch eine klare Linie.
Mirko Slomka steht nicht zur Disposition, betont Beiersdorfer, dem die Art des Übungsleiters offensichtlich gefällt. Beiersdorfer soll vor allem Slomkas Weise schätzen, wie dieser auch zu den bittersten Zeiten der vergangenen Rückrunde die Ruhe bewahrt hat. Und den Abstieg damit zwar denkbar knapp, aber doch verhindert hat.
Sogar der umstrittene Jarchow darf bleiben
Dass Beiersdorfer strategisch denkt, zeigt sich auch an der Personalie Carl-Edgar Jarchow, umstrittene Figur im Verein. Den hat der Neue im Amt belassen, zukünftig soll sich Jarchow um die Anbindung der Fans kümmern, ums Marketing – und um die Verbindung zwischen dem Gesamtverein und der Fußballabteilung. Eine Demission Jarchows hätte im fragilen Gebilde HSV sofort wieder ein mittelschweres Beben ausgelöst, und das kann der Club derzeit überhaupt nicht brauchen.
Allerdings hat Beiersdorfer zugleich signalisiert, dass sich seine Aufgabe als Vorstandsvorsitzender ganz klar auf das Sportliche fokussiert. Das stellt schon einmal den allergrößten Teil der zahlenden Kundschaft zufrieden. Beiersdorfer ist mehr als der kleinste gemeinsame Nenner bei den Fans, für sie ist er Hoffnungsträger, Heilsbringer und HSV-Retter in Personalunion, fast eine Club-Ikone.
Beiersdorfer gab die richtigen Signale
Intern hat der Mann, der die letzten zwei Jahre bei Zenit St. Petersburg als Sportdirektor gedient hat, die Erwartungen an ihn allerdings heruntergeschraubt und stattdessen Teamplay eingefordert. Nein, Heilsbringer oder inkarnierte Hoffnung sei er nicht, doch seine Anwesenheit genügt bereits, um im Club und in dessen Umfeld etwas auszulösen. Und das liegt in erster Linie an Beiersdorfer selbst.
Ist doch klar: Wenn einer, dessen Arbeitsvertrag erst im Juli beginnt, schon im Juni fast jeden Tag auf der Geschäftsstelle auftaucht, um Gespräche zu führen und sich ein Bild zu machen, dann transportiert er eine Botschaft. Wichtigstes Detail dieser Botschaft war, dass sich der HSV zuallererst um die sportlichen Belange kümmern muss. Tatkräftige Unterstützung hat Beiersdorfer dabei in erster Linie von Slomka erfahren.
Als erster Bundesligist das Training aufgenommen
Slomka hat die Mannschaft nämlich schon am 16. Juni zum ersten Training einberufen – rund 14 Tage vor der Konkurrenz haben sich die HSV-Profis somit an die Arbeit gemacht. Beiersdorfer konnte das nur gefallen, denn damit wirkt es von außen zunächst einmal so, als ob in Hamburg zumindest im sportlichen Bereich alle Verantwortlichen dieselbe Sprache sprechen. Jetzt aber ist erst einmal die Mannschaft gefragt, ohne die Abgänge Calhanoglu, Mancienne und Rincon, dafür mit den Neuen Behrami, Nicolai Müller und Ostrzolek. Denn auch, wenn Dietmar Beiersdorfer beim Hamburger SV einiges anstoßen und anderes neu ausrichten möchte: auf dem Platz wird er der Mannschaft eher nicht helfen können. Die Zeiten sind vorbei.
Dabei sind hier die Probleme nach wie vor am größten. Nach zwei Spieltagen belegt der HSV schon wieder einen direkten Abstiegsplatz, die Mannschaft hat noch kein Tor erzielt und ist beim 0:3 zuhause gegen den Aufsteiger aus Paderborn – man muss das fast so sagen – noch gut bedient. Ruhe kehrt in Hamburg damit wohl auch während der Länderspielpause nicht ein.