Cristiano Ronaldo – das verbotene Vorbild

| |

Cristiano Ronaldo ist der mit Abstand kontroverseste Spieler unserer Zeit – entweder man liebt ihn oder man hasst ihn. Abneigung und Bewunderung liegen so nah bei einander wie bei keinem anderen Fußballspieler. Das bloße Aussprechen seines Namens bringt die verschiedensten Reaktionen hervor – doch warum ist das überhaupt so? Und warum gibt es gerade in Deutschland diese starke Diskrepanz?

Ronaldo ist an Allem Schuld

Sieg! WM-Schiedsrichter Milorad Mazic hatte das Spiel beendet und die Deutsche Nationalmannschaft, mit einem beeindruckenden 4:0 Erfolg über Portugal, den Grundstein für das Erreichen der Endrunde und folglich den Gewinn der Weltmeisterschaft gelegt. Allerdings schien an jenem Tag mehr gefeiert worden zu sein als der geglückte Auftakt der eigenen Mannschaft – immerhin hatte man nicht gegen irgendeine Nationalmannschaft gewonnen, sondern gegen Portugal.

Was diesen Gegner jedoch so besonders machte, war nicht etwa die geographische Nähe zum Dauerrivalen aus Spanien oder das im direkten Vergleich deutlich schöner anzusehende Trikot. Nein, ganz Fußballdeutschland lag sich in den Armen, da man gerade einen moralisch wichtigen Sieg gegen das verfeindete Individuum einfahren konnte: Cristiano Ronaldo.

Damals, im Sommer 2014

Springen wir einige Tage zurück: Unlängst ist das WM-Fieber in Deutschland ausgebrochen und jeder fiebert dem Start der Weltmeisterschaft in Brasilien entgegen. Nachdem man Mal für Mal so knapp vor dem Ziel gescheitert war, musste in diesem Jahr einfach der Titel her. Die Ausrede, dass der Mannschaft die Erfahrung fehle, würde man nicht akzeptieren und mit einem zweiten Platz würde sich auch niemand abspeisen lassen, der den Torjubel von Mario Balotelli live und in Farbe mit ansehen musste.

Nein, es musste 2014 geschehen, Herr Löw! In der Gruppenphase wartete, neben den USA und Ghana, nun eine Mannschaft, die es im Grunde nur oben genanntem Cristiano Ronaldo zu verdanken hatte, dass sie überhaupt die Reise nach Südamerika antreten durfte. Entsprechend lag der Fokus der deutschen Medien, vor dem ersten Gruppenspiel, primär auf diesem einen Portugiesen und wie man ihm am Besten die Lust am Spiel nimmt.

Boateng? Diesem war es immerhin schon mal im Trikot des FC Bayern gelungen, Ronaldo aus dem Spiel zu nehmen. Lahm? Davon ausgehend, dass „CR7“ wohl auf Linksaußen spielen würde, war die Überlegung legitim, den Kapitän hinten rechts aufzustellen. Wie auch immer der Bundestrainer es letztlich handhaben würde: TV-Experten waren sich einig, dass Portugal das fußballerische Gegenstück zu den Chicago Bulls der 90er-Jahre darstellte: Ein Superstar und nicht näher zu bezeichnende Mitspieler. Wer war schon Scottie Pippen?

Kaum stand das Endergebnis jedoch fest, änderte sich die Sichtweise. Aus der „One-Man-Show“, zu der man Portugal zuvor in aller Öffentlichkeit gemacht hatte, wurde eine Weltmacht des Fußballs. Gespickt mit Spielern vom höchsten Format. Ein Geheimfavorit auf den Titel. Die deutschen Medien und ihre Experten zeigten sich zwar zurecht von der Leistung der Deutschen Nationalmannschaft beeindruckt, ließen dabei aber keine Gelegenheit ungenutzt, um auf die Stärke des geschlagenen Gegners zu verweisen. Wessen Schuld war es also, dass Portugal sich trotz dessen so degradieren ließ? Die Schuld von Cristiano Ronaldo.

Ronaldo machte nicht den Unterschied

„Er hat doch eine gute Nationalmannschaft. So einer will der beste Spieler der Welt oder gar Weltfußballer sein?“ Leider habe ich dieses „Argument“ oft gehört. Zu oft. Zu viele Leute hatten sich von den Medien davon überzeugen lassen, dass Deutschland wahrhaftig gegen einen gleichwertigen Gegner gewonnen hatte, wenn in Wirklichkeit doch das Gegenteil der Fall war. Analytisch gesehen – also auf dem Papier – waren die Portugiesen sicher nicht schwach besetzt und auch ein Kandidat für das Weiterkommen.

Nimmt man einen Ronaldo und einen Pepe jedoch aus der Mannschaft, bleibt effektiv nicht viel übrig. Fábio Coentrão, der zwar durchaus seine Stärken in der Offensive hat, aber defensiv kaum auf dem höchsten Level spielt. João Moutinho, der einst für eine große Summe zu Monaco gewechselt war und diese – zum Zeitpunkt der Weltmeisterschaft – kaum gerechtfertigt hatte. Und dann? Nani? Der Nani, der bei Manchester United nicht zum Zug kam, das nicht mal die Euro League-Qualifikation geschafft hat? Almeida und Meireles, die in der türkischen Liga spielen, die de facto keine europäische Spitzenliga ist?

Nein, Deutschland war auf nahezu jeder Position eine Klasse besser besetzt und besitzt ein enormes Vorkommen an Talenten, die nach Bedarf und Belieben hochgezogen werden könnten. Im Endeffekt urteilte man über Ronaldo also auf der Grundlage, dass es ihm nicht gelungen war, mit einer unterlegenen Mannschaft gegen Deutschland zu gewinnen. Die Weltmeisterschaft war aber nur eines der vielen, fast unzähligen Beispiele dafür, wie die Wahrnehmung von Cristiano Ronaldo in Deutschland durch die Medien, ihren Experten und jene, die es gerne wären, zum Negativen beeinflusst wird.

Das Streben nach Perfektion

Wer war Cristiano Ronaldo überhaupt, bevor er zur gern genommenen Zielscheibe wurde? Erinnert sich noch jemand an die Europameisterschaft 2004, wo Portugal im Endspiel an Griechenland scheiterte und jener Cristiano Ronaldo in Tränen ausbrach? Das „Talent“ Cristiano Ronaldo wohlgemerkt, nicht der Weltfußballer, nicht der beste Spieler der Welt und nicht das personifizierte Feindbild von so vielen Menschen. Sein Spiel war unausgereift, sein Körper relativ schmächtig und er verließ sich vermehrt auf seine Technik. Sein Arsenal an Offensivwaffen war deutlich limitiert.

Zum damaligen Zeitpunkt hatte auch niemand ein Problem damit, dass er sich die Haare vor jedem Spiel richtet, sein Schuhwerk zur Halbzeit wechselt und häufiger als seine Mitspieler mit Entscheidungen des Unparteiischen hadert. All das, was Cristiano Ronaldo heute noch praktiziert, ist also nicht neu, und trotzdem jedem vermeidlichen Fußballromantiker ein Dorn im Auge. Warum?

Auch Ronaldo wurde nicht alles in die Wiege gelegt

Nur wenige Spieler arbeiten so hart wie Cristiano Ronaldo. Vielleicht ist er sogar der Spieler, der härter mit sich selbst ins Gericht geht als sonst jemand auf diesem fußballerischen Level. Er kommt als erster Spieler zum Training und geht als letzter. Sein einst limitiertes Arsenal erweitert er kontinuierlich, um für keinen Gegenspieler ausrechenbar zu sein – mit beträchtlichem Erfolg, wie man heute konstatieren kann. Beidfüßig stark, besitzt einen begnadeten Umgang mit dem Ball, enorm schnell und körperlich stark zugleich und zudem noch ausgestattet mit einer unfassbaren Sprungkraft, kombiniert mit Kopfballstärke.

Man möge mir einen Spieler zeigen, der auch nur ansatzweise all das vereint, was Cristiano Ronaldo mitbringt. Dabei könnte ich die Negativität, die man dem Portugiesen entgegenbringt, sogar bedingt nachvollziehen, wenn er mit all diesen Attributen geboren worden wäre. Ich könnte verstehen, dass man ihn einfach nicht mögen will, weil er nicht hart dafür arbeiten musste, um es an die Spitze zu schaffen. Ich könnte sogar verstehen, wenn man, während man abends mit seinen Kumpels in der Kneipe sitzt und bei einem kühlen Bier ein Spiel von Real Madrid verfolgt, seine Leistungen diskreditiert, weil ihm scheinbar alles in die Wiege gelegt wurde und er sich gänzlich auf sein Talent verlassen kann.

„CR7“ arbeitet für Niemanden außer sich selbst

Dem ist aber nicht so. Ronaldo hätte nicht so akribisch an sich arbeiten müssen: „Muskelaufbau? Wozu, ich bin doch schnell!“ – „Abschlussstark mit dem linken Fuß? Wozu, ich ziehe doch ohnehin von Linksaußen in die Mitte!“ – „Und wozu braucht ein Flügelspieler bitte Sprungkraft?!“ – Argumente, die gegen zusätzliches Training und Sonderschichten gesprochen hätten, hätte es genug gegeben. Die Zukunft war schließlich gesichert und das, was er bereits gut beherrschte, reichte für den Großteil seiner Gegenspieler aus.

„CR7“ brachte keines dieser Argumente vor, arbeitete aber auch für Niemanden außer sich selbst an seinen Fähigkeiten – sein Antrieb war und ist nicht durch sein Umfeld bedingt, sondern durch ihn selbst. Er will nicht besser und kompletter sein, um Zustimmung von außen zu erfahren oder seine Kritiker verstummen zu lassen, sondern einzig und allein, weil er der Beste sein will.

Ronaldo hat keine Schwäche – das ist sein Problem

Die allgemeine Abneigung gegenüber Cristiano Ronaldo kommt jedoch nicht von ungefähr, sondern ist – bis zu einem gewissen Punkt – menschlich. Grundsätzlich wünschen wir jedem nämlich nur das Beste und wollen, dass jeder Mensch glücklich und zufrieden ist. Unter einer Bedingung: Er darf nicht glücklicher und zufriedener sein als wir selbst. Sie würden Ihrem Nachbarn den 1,5 Millionen-Lotto-Gewinn doch auch gönnen… vorausgesetzt, dass sie selbst mindestens die selbe Summe gewinnen.

Natürlich würde niemand zugeben, dass diese Denkweise existiert, aber wenn wir das nun übertragen, wird vielleicht auch klar, wieso ein Lionel Messi so viel populärer ist als sein portugiesischer Kontrahent. Ohne daraus eine Diskussion entwickeln zu wollen, wer nun der bessere Fußballer ist, muss man sagen: Die tatsächliche Entscheidung, die man selbst trifft, hat in den meisten Fällen wenig mit dem zu tun, was in den 90 Minuten auf dem Rasen passiert.

Ist Neid der Grund für die öffentliche Abneigung?

Neid spielt eine nicht unwesentliche Rolle in diesem Entscheidungsprozess. Wir dürfen neidisch sein, keine Frage, aber unser Neid darf uns niemals blind für das machen, was wir sehen. Eine kurze Frage: Wie oft hören Sie, wenn sie im großen Kreis Fußball schauen, wie sich über das Verhältnis zwischen Leistung und Gehalt der Spieler beschwert wird? Plötzlich wird jeder Vater und jeder Verwandte zum verkannten Profi.

Fußballer sind also ebenso von unserem Neid betroffen wie andere Personen, die in der Öffentlichkeit stehen. Und wie bei jeder anderen Person, liegt es in der Natur des Menschen, bei anderen nach Fehlern, Defiziten oder Schwächen zu suchen, um sich selbst besser zu fühlen. Geben Sie es ruhig zu: Der einzige Grund, weshalb Sie mit dem Klassen-Schwarm Ihrer Schulzeit gut auskamen ist, weil Sie wussten, dass Sie klüger waren oder eine andere Sache besser konnten als er/sie.

Wird man also vor die Wahl gestellt, ob man Messi oder Ronaldo für den besten Fußballer hält, greift man schnell zu obiger Handlungsweise. Und da sich „Otto Normalzuschauer“ nicht eingestehen will, dass jemand, der augenscheinlich ein perfektes Leben führt, auch noch als bester Fußballer durchgeht, fällt die Wahl auf den Argentinier. Oder spezifisch: Nicht auf Ronaldo.

Nicht jeder muss Ronaldo mögen

Natürlich verdient ein Lionel Messi jeden seiner Weltfußballertitel. Natürlich zählt er zu den Besten der Welt und ist für viele Menschen auch der beste Fußballer auf diesem Planeten. Trotzdem polarisiert er nicht mal ansatzweise auf dem Level, wie es Cristiano Ronaldo tut. Und eben weil der Portugiese die Massen spaltet wie einst Moses das Rote Meer, verliert er einige seiner Popularitätspunkte an Messi, ohne dass der Fußball überhaupt eine Rolle spielt.

Für viele Menschen ist es einfach nicht zu ertragen, dass jemand, der durchtrainiert ist, sein Gesicht vermarkten kann und Millionen auf dem Konto hat, dann noch als Fußballer herausragt. Die personifizierte Antithese zum hart arbeitenden Fußballprofi vergangener Tage, der technische Defizite durch Einsatz und Leidenschaft kompensiert, darf einfach nicht der Beste sein, wie es scheint. Es ist, als würde man unbedingt eine Schwäche bei Cristiano finden wollen, um endlich ruhig schlafen zu können. Vermutlich wird sich seine Betrachtung innerhalb Deutschlands auch nicht ändern, solange er diese eine Schwäche nicht offenbart hat.

Erwarte ich, dass man Ronaldo mag? Nein, mögen ist subjektiv. Jeder von euch hat das Recht, Cristiano Ronaldo als Mensch und als Fußballer nicht zu mögen. Was ich allerdings von euch erwarte, ist Respekt einem herausragenden Sportler gegenüber. Respektieren ist objektiv und frei von jeglicher Sympathie einem Menschen und Fußballer gegenüber.

Ihr müsst Cristiano Ronaldo nicht mögen, um ihn zu respektieren. Ihr müsst sein Auftreten und seine Eigenarten nicht gutheißen, um zuzugeben, dass er ein herausragender Fußballer ist, der hart für das arbeiten musste, was für unsere Augen als „Gott gegeben“ erscheint. Und ich finde, dass es aktuell keinen Fußballer gibt, der es mehr verdient hat, dass wir endlich lernen, persönliche Präferenzen von objektiver Leistungsbewertung zu trennen.

Vorheriger Artikel

Glenn Büsing: „Es reicht nicht, ein Banner hochzuhalten“

Zwischen Tradition und Erfolgsfan

Nächster Artikel

Schreibe einen Kommentar