Glenn Büsing: „Es reicht nicht, ein Banner hochzuhalten“

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Der Filmemacher Glenn Büsing feierte mit seinem Film „Zwei Gesichter“ große Erfolge, wurde unter anderem vom DFB unterstützt. Noch wichtiger ist jedoch das Zeichen, das er damit gegen Homophobie setzte. Bei Inside 11 spricht er über den Umgang mit Homosexualität im Profifußball.

Inside 11: Guten Tag, Herr Büsing! Wie kam Ihnen die Idee zu diesem Film?

Büsing: Die Idee zu „Zwei Gesichter“ entstand im „anyway“, einem schwul-lesbischen Jugendzentrum in Köln. Inspiration war Thomas Hitzlspergers Coming-out. Und Nico Schulte, ein junger Fußball-Profi, der das Café dort regelmäßig besucht hat, hat sich mir dann als Berater und Ideengeber zur Verfügung gestellt.

Mehrere Szenen aus dem Film basieren ja auf Situationen, die ihm tatsächlich so passiert sind. Wie das Mobbing unter der Dusche, als alle plötzlich in Unterwäsche dastehen oder dass er glaubte, den Leuten etwas von seiner angeblichen Freundin erzählen zu müssen. Der Film enthält also viel Autobiografisches von ihm. Leider, muss man dazu sagen.

Inside 11: Denken Sie, dass sich homosexuelle Bundesliga-Spieler outen sollten?

Büsing: Man kann niemanden zwingen, sich zu outen. Allerdings hätte das natürlich eine enorme Außenwirkung, würde sich ein Aktiver outen. Nico Schulte hat sein Schwulsein ja ganz öffentlich gemacht im Rahmen von „Zwei Gesichter“. Damals noch als Spieler von Fortuna Düsseldorf, immerhin 2. Liga! Hella von Sinnen hat zum Beispiel bei ihrem Auftritt für unsere Kampagne „Mein Gesicht für Zwei Gesichter“ einen Stern-Titel gefordert – mit 28 Fotos von aktiven Bundesliga-Spielern unter der Überschrift „Ich bin schwul!“, wie der von 1971 mit „Wir haben abgetrieben!“.

Ob der Stern das hinbekäme, ist eine ganz andere Frage. Aber Fakt ist, dass Bundesliga-Spieler eine riesige Vorbildfunktion haben, vor allem für fußballbegeisterte Jugendliche. Und wo mit der gesellschaftlichen Aufklärungsarbeit anfangen, wenn nicht bei der Jugend? Und deshalb sagen wir auch: Ja, unser Film richtet sich bewusst an alle Gesellschaftsschichten und Altersklassen, aber vor allem immer noch an Jugendliche.

Inside 11: Der FC Sankt Pauli ist in Sachen Toleranz ein Vorreiter in Deutschland. Vermissen Sie das Engagement bei anderen deutschen Vereinen?

Büsing: Ja, Sankt Pauli, und ich möchte da noch den 1. FC Köln und Werder Bremen nennen. Werder ist ein positives Beispiel in der Antidiskriminierungsarbeit und im sozialen Engagement und wird auch international sehr dafür geschätzt. Deren CSR-Management bemüht sich, Seminare zum Thema Diskriminierung und Homophobie für alle Trainer anzuschieben. Die Erfolge davon werden sich hoffentlich in den nächsten Jahren zeigen.

Und der 1. FC Köln hat schon auf Initiative des FC-Mitgliederrats, der FC-Mitgliederabteilung und des Finanzgeschäftsführers Alexander Wehrle antidiskriminierungs-pädagogische Workshops für seine Jugendmannschaften in Zusammenarbeit mit dem Aufklärungsprojekt SchLAu Köln veranstaltet. „Zwei Gesichter“ wird dabei als Anschauungsfilm eingesetzt, das freut mich natürlich umso mehr!

Aber das ist insgesamt bundesweit noch zu wenig. Einige Vereine strahlen eben einfach noch dieses Heteronormative, betont Nicht-schwule aus. Und das zieht sich dann runter bis in die Basis zu den Trainern und Jugendmannschaften, die lassen sich davon natürlich beeinflussen.

„Es reicht nicht, den Kapitän einen politisch korrekten Satz von einem Zettel ablesen zu lassen, wo er in einem Atemzug so viele Schlagwörter fallen lässt, dass man kaum noch folgen kann.“ – Glenn Büsing

Inside 11: Wie finden Sie, sollte man homophobe Äußerungen im Stadion ahnden? Muss es Konsequenzen haben, wenn jemand „Schwuchtel“ brüllt?

Büsing: Homophobe Sprüche hört man vielleicht nicht täglich, aber immer mal wieder. Aber ich denke, Sanktionen sollten erst das letzte Mittel sein. Viele finden es eben ganz lustig, einfach mal in der Gemeinschaft Sprüche rauszuhauen und für ein paar Momente Dampf abzulassen und sich dabei cool zu fühlen. Bei den meisten reicht es auch schon, sie darauf anzusprechen, dass sie einsichtig werden, da einen Fehler gemacht zu haben.

Aber da fehlt es natürlich auch noch an Zivilcourage und Einsicht, auch bei anderen Zuschauern, die die Aktion mitbekommen haben, aber gar nicht reagieren. Homophobie oder die Tendenz, dass Homosexuelle nicht ganz ernst zu nehmen sind, ist eben vor allem ein gesellschaftliches Problem, das auf die Plätze und in die Stadien überschwappt.

Inside 11: Sollte der DFB seine Bemühungen gegen Homophobie weiter intensivieren?

Büsing: Ja, das war wirklich ganz großartig, dass der DFB unser Projekt mit Geld unterstützt hat. Wir haben uns auch persönlich sehr darüber gefreut, dass eine ganze Riege von Fußball-Funktionären der ersten Reihe beim Premierenabend anwesend war. Und wir hoffen, dass die Präsidenten vom Fußball-Verband Mittelrhein ihre Versprechen wahr machen und „Zwei Gesichter“ im Rahmen ihrer Trainerausbildung verwenden.

Während der Zusammenarbeit hat man einerseits gemerkt, dass die Herren sehr bemüht und entgegenkommend waren, aber eben auch, dass bei den Verbänden zum Teil einfach noch die Erfahrungswerte fehlten im Bereich der Antidiskriminierungsarbeit gegen Homophobie. Ich glaube, dass sich da etwas bewegt, aber langsam. Man muss mal bedenken, dass „Zwei Gesichter“ der erste schwule Film seiner Art war, ein Spielfilm mit sozialer Intention, den die Kulturstiftung des DFB offiziell gefördert hat.

Ich denke, es wird letztendlich eine Frage der Zeit sein, weil das ja auch eine Sache der Sozialisation ist. Für die ältere Generation wird der Umgang mit dem Thema Homosexualität nach und nach selbstverständlicher werden, und die jüngere Generation wird hoffentlich weniger vorurteilsbehaftet sein. Trotzdem darf man da nicht die Hände in den Schoß legen. Das muss immer weiter gehen, Schritt für Schritt für Schritt.

Die zweite Auflage der Informationsbroschüre der Initiative „Fußball für Vielfalt“ ist zum Beispiel ein solcher Schritt. Ich hatte der Initiative Shary Reeves für ein Grußwort vorgeschlagen, wofür sie dann auch sofort zur Verfügung stand. „Resignation ist der Egoismus der Schwachen“, wiederholt sie da. Finde ich ein gutes Zitat von ihr.

Inside 11: Sollte die FIFA keine weiteren Weltmeisterschaften in Ländern austragen, wenn diese systematisch homosexuelle Menschen diskriminieren?

Büsing: Natürlich wäre es sinnvoll, wenn man internationale Sportveranstaltungen eher nicht in Ländern austrägt, die die Menschenrechte mit Füßen treten – sondern denen die Chance gibt, die Entwicklungsbereitschaft zeigen. Ich denke es wäre grundsätzlich sinnvoll, die Aufmerksamkeit, die so eine Weltmeisterschaft erzeugt, zu benutzen, um öffentlich und gezielt die Diskussion um das Thema Homophobie voranzutreiben. Und zwar öffentlicher und gezielter, als es bisher noch gehandhabt wird.

Es gibt die Aktionen in den Stadien. Aber es reicht nicht, ein Banner hochzuhalten und den Kapitän einen politisch korrekten Satz von einem Zettel ablesen zu lassen, wo er in einem Atemzug so viele Schlagwörter fallen lässt, dass man kaum noch folgen kann. Und selbstverständlich wird öffentlich gesagt, dass man gegen jede Form von Diskriminierung sei, das ist doch klar.

Aber was ganz anderes ist es schon, wenn man es beispielsweise zur Bedingung machen würde, Homosexualität in Gesellschaft und Sport im Rahmen einer WM ernsthaft und gründlich zu thematisieren – egal ob die Spiele in Katar oder in Deutschland stattfinden. Denn dass auch Deutschland noch nicht am Ende der Entwicklung angelangt ist, zeigt ein Blick auf die Tribüne: Da sitzt zu jedem Spieler eine Spielerfrau.

Das Interview führte Philip Hell exklusiv für Inside 11.

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