Die Europameisterschaft für Spieler unter 21 Jahren ist bekannt als Pool großer Talente. Viele der heutigen Superstars bestritten einst als mehr oder weniger unbekannte Kicker dieses Turnier. Inside 11 wagt nun eine Prognose und stellt einige der vielversprechendsten jungen Männer vor, bei denen von einer Zukunft im Spitzenfußball ausgegangen wird. In diesem ersten Teil geht es um Torhüter und Abwehrspieler.
Ein Keeper tritt aus dem Schatten
Über deutsche Torhüter wird immer viel geredet. Und dies natürlich völlig zurecht. Manuel Neuer hatte an Deutschlands jüngstem Erfolg an der Weltmeisterschaft in Brasilien enormen Anteil und wird spätestens seitdem als weltbester Schlussmann anerkannt. Dazu generierte in dieser Saison ein junger Mann namens Marc-André ter Stegen Schlagzeilen: Er gewann mit dem FC Barcelona die Champions League. Daneben wird ein Name oft etwas außer Acht gelassen: Bernd Leno.
Der ehemalige Nachwuchsspieler des VfB Stuttgart hat nach einer Karriere aus dem Bilderbuch bislang seinen Höhepunkt erreicht. Bei seinem Verein Bayer 04 Leverkusen glänzte der Blondschopf fast durchgehend und war wohl der konstanteste Leistungsträger in der Bundesliga und der Champions League. In der U-21 Deutschlands ist Leno nun schon seit längerem Stammtorhüter und wird auch an der EM zwischen den Pfosten stehen.
Der Keeper geht nicht mit dem Trend mit, den Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen vorleben. Lenos Fokus liegt auf dem klassischen Torwartspiel, in dem er auch am meisten zu glänzen vermag. Seine Reaktionsschnelligkeit sucht auch im Spitzenfußball ihresgleichen. Gerade Situationen mit enorm kurzer Reaktionszeit wie Kopfbälle aus kurzer Distanz oder überraschend abgelenkte Schüsse zählen zu den überragendsten Fähigkeiten Lenos.
Selbstverständlich ist auch er modern ausgebildet und kann sauber mitspielen und Steilpässe abfangen, wobei er sich in beiden Bereichen nicht so sehr in Szene setzt, wie es seine deutschen Kollegen tun. Spielerisch glänzt er oftmals auch durch einen präzisen und scharf gezogenen langen Pass. Trotz der enormen Konkurrenz im deutschen Raum ist Bernd Leno auf jeden Fall einer, der alles mitbringt, um im Weltfußball eine wichtige Rolle zu spielen.
Nach Buffon die Sintflut?
Italienischer Torhüter? Na klar, Gianluigi Buffon, wer sonst? Ach, jung soll er sein? Ist der denn nicht mehr jung? Vorhang auf für die Nachwuchstorleute der Squadra Azzurra, Vorhang auf für Francesco Bardi, den wir bei dieser EM sehen werden. Er ist einer von vielen hoffnungsvollen, jungen Schlussmännern in Italien, die darauf warten, in den Fokus zu rücken. Zu nennen wären Nicola Leali (auch bei der EM verteten), Simone Scuffet und Mattia Perin. Aber zurück zu Bardi.
Ganz typisch für den Umgang in Italien mit jungen Spielern steht Bardi zwar bei Inter Mailand unter Vertrag, bestritt bislang aber noch kein einziges Spiel für die Nerazzurri. Dennoch spielte er reichlich und bestritt nun als 23-Jähriger schon sein viertes Jahr im Herrenfußball. Zwei Jahre verbrachte er in Novara und je eines bei Livorno und Chievo Verona. Dem eher geringen Status dieser Vereine geschuldet wurde Bardi hauptsächlich nach dem klassischen Torhütermodell geschult und verlässt nicht allzu gerne seinen Strafraum und bevorzugt auch klar seinen rechten Fuß.
Seine Stärken allerdings sind nicht zu verachten. Der Italiener verfügt über ausgezeichnete Reflexe. Auffällig im Unterschied zu anderen Torhütern ist, dass er sich nicht scheut, zu Abwehraktionen im Stile eines Handballtorwarts auch die Füße zu verwenden. Ebenso sticht heraus, dass Bardi bei hohen Schüssen sehr oft die richtige Entscheidung trifft, mit welcher Hand er versucht, den Ball zu erreichen. Im Eins-gegen-Eins und in der Strafraumbeherrschung ist Bardi für sein, in Torhüterdimensionen, immer noch zartes Alter schon ausgesprochen reif und abgezockt.
Bald bereit für die Top 4 der Insel?
Bei den Verteidigern soll die Aufmerksamkeit zunächst einem Briten gehören. John Stones heißt der junge Mann und spielt beim FC Everton. Bei einem Engländer seiner Körpergröße von 1,88m denkt man an einen kräftigen Haudegen, an einen neuen Verfechter des englischen Kick and Rush. Doch das Gegenteil ist der Fall. Der in Barnsley geborene Stones ist durchaus ein Verfechter des sehr modernen Fußballs, wie er uns hoffentlich anlässlich dieser EM beweisen wird.
Zwei Eigenschaften heben ihn in seiner Entwicklung von anderen Verteidiger ab. Zunächst fällt ins Gewicht, dass Stones sowohl als Innenverteidiger ausgebildet wurde, was mittlerweile auch als seine Stammposition angesehen werden kann, als auch als rechter Außenverteidiger. Zur Folge hat das ein besseres taktisches Verständnis des mannschaftlichen Abwehrverhaltens und eine sehr solide Grundgeschwindigkeit, die sonst bekanntermaßen vielen Innenverteidigern abgeht.
Eine wichtige Eigenschaft, die gerade in einer hochstehenden Abwehr das Leben erleichtern kann. Stones verfügt dazu auch über ein gutes Kopfballspiel und hat keine Angst vor harten Zweikämpfen. Gerade da lässt sich aber auch eine kleine Schwäche ausmachen: Stones hat eine Vorliebe für Grätschen, die zwar für Szenenapplaus und eine schmutzige Hose sorgen können, allerdings auch riskant sind. Nicht selten wird ihm ein vermeidbares Foul gepfiffen oder er wird schlicht um- oder überspielt.
John Stones bringt aber durch seine oftmals auch offensive Ausrichtung eine grundsolide Technik mit. Stets beweist er Ruhe am Ball und sucht eine Lösung mittels Kurzpass oder sogar Dribbling. Dies mag dem ein oder anderen Trainer schnell neue graue Haare wachsen lassen, ist aber ein unerlässliches Attribut, um im Verlaufe seiner Karriere als Innenverteidiger die Weltspitze zu erreichen. Wie bei jedem jungen Spieler gilt es natürlich, Erfahrungen zu sammeln und damit das richtige Maß zu finden zwischen sauberem Aufbauspiel und dem simplen Klären von heiklen Szenen. Gerade dafür ist so ein U21-Turnier ja auch da.
Ein Stürmer als Abwehrspieler
Wir wechseln in den Süden und picken einen Verteidiger Portugals heraus, den der ein oder andere Scout in Europa sich bestimmt auch ansehen wird. Die Rede ist von einem portugiesisch-französischen Doppelbürger, der beim FC Lorient spielt: Raphaël Guerreiro. Er ist gelernter linker Außenstürmer, der aber in der U21-Nationalmannschaft Portugals gewöhnlich links hinten eingesetzt wird. Auch beim FC Lorient nimmt er munter beide Rollen ein und wechselt sehr oft die Position, je nach Kadersituation.
Die Vorzüge Guerreiros sind klar: er bringt offensiv eine Menge Power von links hinten. Der Linksfuß ist ein Verfechter des direkten Offensivfußballs. Er spielt seine Pässe überwiegend vorwärts und stößt dann von hinten nach. Bevorzugt hinterläuft Guerreiro den linken Flügelspieler, um den Ball dann in den Lauf gespielt zu bekommen. Kann der Portugiese Tempo aufnehmen, wird er brandgefährlich und bereitet viele Tore vor, erzielt bisweilen sogar das eine oder andere. Bemerkenswert vor allem sein Instinkt zum Tor, dank welchem er auch in Situationen, an denen er eigentlich nicht beteiligt ist, schlussendlich doch genau dort steht, wo der Ball hinprallt.
Arbeiten muss er an seinem Defensivverhalten und an der Entscheidungsfindung. Letzteres gilt aber wohl für so ziemlich jeden Spieler in seinem Alter. Sein sehr stetiger Drang, vorwärts zu drücken und offensiv anzutreiben, muss mannschaftlich aufgefangen werden und nicht immer sind riskante Dribbling oder Pässe auf Stürmer in Unterzahlsituationen die richtige Wahl.
Defensiv lebt der Außenverteidiger noch sehr von der Antizipation. Er ist schnell auf den Beinen und im Kopf und kann viele Pässe abfangen, bevor es gefährlich wird. Allerdings versucht er das oftmals recht riskant und muss die eine oder andere gelbe Karte in Kauf nehmen, wenn er zu spät kommt. Auf jeden Fall ist Raphaël Guerreiro mit seinen tollen Anlagen ein ganz interessanter Mann für viele große Vereine, vor allem da er noch nicht bei einem prominenten Verein spielt.
Der „römische Chiellini“
Zu guter letzt noch ein Italiener und noch ein Innenverteidiger. Alessio Romagnoli heißt der junge Mann im Fokus. Er durchlief die Jugend der AS Roma und steht immer noch beim größeren der beiden Hauptstadtvereine unter Vertrag, verbrachte die vergangene Saison allerdings leihweise bei Sampdoria Genua. Dass man in Zukunft bei der AS Roma allerdings auf ihn setzen wird, steht außer Frage. Zu hochveranlagt ist der Abwehrspieler.
Ähnlich wie bei John Stones hat Romagnoli in seiner Entwicklung enorm davon profitiert, dass er des Öfteren als Außenverteidiger eingesetzt wurde. In seinem ersten Jahr bei der AS Roma absolvierte er viele Spiele hinten links, nun bei Sampdoria war er wieder hauptsächlich im Abwehrzentrum aktiv. Das relativ komplette Fähigkeitenportfolio Romagnolis umfasst nicht nur starkes Stellungsspiel und Zweikampfverhalten, sondern auch Geschwindigkeit und technische Rafinesse. Seine bedeutsamste Stärke ist allerdings das Kopfballspiel. Timing und Sprungkraft sind bereits besonders weit entwickelt, so dass er sich im Strafraum kaum überwinden lässt und im Gegenzug auch das eine oder andere Tor erzielen kann.
Die Konkurrenz für Alessio Romagnoli in Italiens U21-Mannschaft ist allerdings nicht leichtgewichtig. Daniele Rugani und Matteo Bianchetti haben viele der Qualifikationsspiele für Italien bestritten und schielen ebenso auf einen Platz in der Innenverteidigung. Die Eingespieltheit spricht eher für dieses Duo, die Erfahrung im Profibereich und die individuellen Fähigkeiten allerdings lassen kaum an Romagnoli vorbei führen. Auf lange Sicht ist der vielseitige, junge Italiener, der von den Anlagen und den spielbaren Positionen an Giorgio Chiellini erinnert, auf jeden Fall mit großer Wahrscheinlichkeit Bestandteil der AS Roma und Italiens A-Nationalmannschaft.