Nach dem Zwangsabstieg aufgrund des Manipulationsskandals im Jahre 2006 hat sich der italienische Rekordmeister längst wieder gefangen und dominiert die heimische Liga beinahe nach Belieben. In der Saison 2015/16 gewannen die Bianconeri bereits den fünften Scudetto in Folge und auch in der laufenden Spielzeit grüßt man aktuell mit vier Punkten Vorsprung vor dem zweitplatzierten AS Rom von der Tabellenspitze. Ist Juve wieder bereit für die Spitze Europas?
Auch international erhebt die „Alte Dame“ Ansprüche um Titel mitzuspielen, vor allem nach dem verlorenen Champions League-Finale 2014/15, in dem man sich dem FC Barcelona mit 3:1 geschlagen geben musste.
In der Folge hatte der Verein aus dem Piemont zahlreiche namhafte Abgänge zu beklagen. Arturo Vidal, Andrea Pirlo, Àlvaro Morata, Carlos Tévez und der im Sommer für die Rekordsumme von 105 Millionen Euro abgewanderte Paul Pogba, zählten in den letzten Jahren zu den absoluten Leistungsträgern des Teams.
Erklärtes Ziel: Champions League
Obwohl sich Geschäftsführer Giuseppe Marotta im vergangenen Sommer noch im Tiefstapeln übte, ist seine Intention klar: Der Henkelpott soll wieder nach Turin: „Wir haben die Mannschaft verstärkt und fühlen uns dazu bereit, die Champions League in dieser Saison anzugreifen“, erklärte er in einem Interview am Rande der diesjährigen Gruppenauslosung in Monaco. „Wir wollen so weit wie möglich kommen. Unser erstes Ziel ist es, die K.O.-Phase zu erreichen, ungeachtet davon gegen welchen Gegner.“
Trainer Massimiliano Allegri drückte sich hierbei zu Beginn der Saison etwas deutlicher aus: „Wenn ich sage, eine gute Champions League-Saison, dann meine ich, dass unser Ziel ist, so weit wie möglich zu kommen und den Wettbewerb zu gewinnen. Dafür braucht man etwas Glück, vor allem in der Champions League.“
Ereignisreicher Transfersommer
Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich der italienische Rekordmeister im Sommer sowohl punktuell, als auch perspektivisch verstärkt. Zum einen konnte man mit Gonzalo Higuain einen Stürmer von Weltformat vom größten Ligakonkurrenten, SSC Neapel, für die vereinsinterne Rekordsumme von 90 Millionen Euro loseisen, sowie Spielmacher Miralem Pjanic vom AS Rom für insgesamt 32 Millionen.
Außerdem konnte man den Kader durch die Verpflichtungen von Dani Alves, Juan Cuadrado, Medhi Benatia, den Kauf von Leihspieler Mario Lemina und dem europaweit begehrten Talent, Marko Pjaca auch in der Breite verstärken, um mit der Dreifachbelastung zurechtzukommen. Auf der Liste der Abgänge stehen hingegen Rekordtransfer Paul Pogba, Alvaro Morata, Roberto Pereyra und Simone Zaza.
Der Kader
Doch ist der aktuelle Kader der Bianconeri auch stark genug, um mit anderen europäischen Spitzenclubs, wie dem FC Barcelona, Real Madrid oder dem FC Bayern München zu konkurrieren? Im Tor hat man mit Gianluigi Buffon einen gestanden Keeper, der auch mit seinen 38 Jahren noch immer zeigt, dass er einer der besten Torhüter aller Zeiten ist.
Auch in der Innenverteidigung darf man sich dank des italienischen BBC-Trios (Andrea Barzagli, Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini) zu Europas Spitze zählen. Komplettiert wird diese durch den, vom FC Bayern ausgeliehenen, Medhi Benatia und Eigengewächs Daniele Rugani.
Auf den Außenverteidigerpositionen ist man jeweils doppelt besetzt. Auf rechts hat man mit Dani Alves und Stephan Lichtsteiner zwei erfahrene Spieler, die auch international bereits ihre Klasse nachgewiesen haben. Auf der linken Seite spielen mit dem ebenfalls erfahrenen Patrice Evra und dem Brasilianer Alex Sandro zwei weitere Topspieler.
Das Mittelfeld ist die Schwachstelle im Kader des italienischen Rekordmeisters. Zwar hat man mit Neuzugang Miralem Pjanic, Weltmeister Sami Khedira und Claudio Marchisio drei absolute Spitzenleute. Dahinter mangelt es jedoch an internationaler Qualität, was vor allem durch die Verletzungsanfälligkeit der beiden letztgenannten zum Problem werden könnte. Als Ersatz hat man mit Stefano Sturaro und Mario Lemina zwar zwei junge Spieler mit viel Potential und dem Brasilianer Hernanes einen erfahrenen Spielmacher. Doch es fehlt dem Trio einfach an der Klasse, die es braucht, um in der K.O.-Phase der Champions League zu bestehen.
Die Offensive dagegen strotzt nur so vor Qualität. Neben 90 Millionen-Mann Higuaín und Shootingstar Paulo Dybala hat man mit Mario Mandzukic einen weiteren Stürmer von internationalem Format in seinen Reihen. Auf den Außenbahnen spielen mit Juan Cuadrado und Marko Pjaca zwei schnelle dribbelstarke Spieler, die mit präzisen Flanken die Stoßstürmer Higuaín und Mandzukic im Strafraum bedienen können.
Des Weiteren drängt mit Moise Kean, der in Italien bereits als der „neue Balotelli“ gefeiert wird, ein hochtalentierter 16-Jähriger auf eine dauerhafte Beschäftigung im A-Kader der „Alten Dame“. Auf der Trainerbank sitzt mit Massimiliano Allegri außerdem einer der begehrtesten Trainer Europas, der einen sehr guten Draht zu seinen Spielern pflegt und als äußerst spielintelligent gilt, wenn es um Taktiken geht.
Ordentliche Quote, ausbaubare Leistung
Aktuell tut sich der italienische Rekordmeister etwas schwer. Zwar steht man im Calcio zur Länderspielpause mit einem komfortablen Vier-Punkte-Vorsprung an der Tabellenspitze und auch in der Champions League-Gruppenphase steht man mit acht Punkten aus vier Spielen noch auf dem zweiten Rang der Gruppe H. Überzeugen konnte die Mannschaft von Trainer Allegri jedoch nur selten.
Das prestigeträchtige Derby d’Italia Ende September verlor man gegen ein kriselndes Inter Mailand mit 2:1 und in der europäischen Eliteklasse erspielte man sich gegen den FC Sevilla und Olympique Lyon nur jeweils ein Remis. Gegen letztere gab man sogar eine 1:0-Führung aus der Hand.
Schwerfällig und uninspiriert wirkt bisweilen das Spiel der „Alten Dame“, vor allem gegen tief stehende Gegner tut man sich schwer: Zu wenig für die hohen Ansprüche des Vereins und so erkannte auch Kapitän Gianluigi Buffon zwei Tage nach dem wichtigen 2:1 Sieg gegen den SSC Neapel am vergangenen Wochenende: „Wenn wir das Ziel haben, in Europa weit zu kommen, müssen wir uns noch weiter verbessern. Wenn man daran denkt, sich im Viertelfinale, Halbfinale oder sogar im Finale mit Teams wie Barcelona und Bayern München zu messen, dann ist das, was wir aktuell zeigen, nicht genug.“
Man müsse „die Qualität unseres Spiels ein wenig verbessern“, um das volle Potential auszuschöpfen, so der Routinier. Auch mit einem Blick auf die aktuelle Tabellensituation will sich die Torwartikone nicht bestätigt fühlen: „Wir sind glücklich mit den bisherigen Ergebnissen, aber wir können noch nicht zufrieden sein.“ Ebenfalls schwer ins Gewicht fällt derzeit die Verletzung von Andrea Barzagli (Schulter), der bis zu zwei Monate ausfallen wird.
Bereit für die Spitze Europas?
Nach dem kleineren Umbruch im Sommer müssen die Neuzugänge Allegris Spielsystem erst noch vollständig adaptieren. Sobald die Automatismen greifen und die Mannschaft besser aufeinander eingespielt ist, verfügen die Bianconeri über einen – mit Abzügen – hervorragend aufgestellten Kader, der nominell in der Lage ist, es mit Branchengrößen, wie dem FC Barcelona, Real Madrid, dem FC Bayern München oder Manchester City aufzunehmen.
Bleibt man zusätzlich vom Verletzungspech verschont, steht einer erfolgreichen Champions League-Saison und mit etwas Glück sogar dem Titel nichts mehr im Weg. Allerspätestens in der nächsten Saison wird man die „Alte Dame“ zum engeren Favoritenkreis zählen müssen.