Jungspunde statt Frührentner?

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Was tun, wenn ein erfolgreicher Trainer geht? Diese Frage mussten sich diesen Sommer zwei der renommiertesten Fußballverbände Europas stellen. Italien und Spanien trafen dabei grundsätzlich andere Entscheidungen. Während die einen mutig nach Optimierung streben, versuchen die anderen, die Erfolge zu konservieren. Inside 11 beleuchtet die neuen Trainer und wirft einen allgemeinen Blick auf ein Amt, das sich im Wandel befindet.

Italiens mutlose Wahl

Italien wählte mit Giampiero Ventura einen äußerst erfahrenen Übungsleiter, der in Italien bereits 17 (!) Mannschaften trainiert hat. Mittlerweile ist er 68 Jahre alt und damit wohl am Ende seiner langen Karriere angelangt. Ihm wird die Anstellung zum (möglicherweise) krönenden Abschluss wohl gerade recht kommen, allerdings muss man sich die Frage stellen, ob er für „La Nazionale“ der ideale Mann ist.

Ventura kann man auf jeden Fall als sichere Lösung sehen. Er kennt die Liga bestens und dürfte auch unter den Trainern gut vernetzt sein. Mit Vorliebe lässt er seine Mannschaften in einem recht defensiven 3-5-2-System auflaufen. Auf den ersten Blick passt das wie die sprichwörtliche Faust auf’s Auge, hat doch Antonio Conte in der Nationalmannschaft auf dem Papier auch so spielen lassen.

Was dem neuen Mann an der Seitenlinie allerdings abgeht, sind neue Impulse für die Squadra Azzurra. Antonio Conte setzte ja keineswegs nur auf Defensivfußball, sondern fand auch durchaus Lösungen nach vorne und schulte seine Nationalmannschaft zudem perfekt in der Kunst, einen sehr großen Raum zu verteidigen. Sein Italien musste sich selten am eigenen Strafraum einigeln, sondern hielt sich die Gegner weit vorne vom Leib. Conte hat Italien zu einer Maschinerie verschweißt.

Never change a winning team?

Es kann aber nicht die Lösung sein, schlicht dasselbe Personal in der gleichen Formation aufzustellen und sich zurückzulehnen. Immerhin spielt Pellè mittlerweile in China und Sturmpartner Eder kommt bei Inter Mailand kaum zum Zug. Zumindest im Sturm wäre frisches Blut gefragt. Leider scheint es Ventura am Mut zu mangeln, ein intaktes System zu gefährden. Der sicheren Trainerwahl haftet definitiv auch etwas Konservatives an.

In der Partie gegen Spanien konnte man die Unterschiede schön erkennen. Der Auftritt Italiens war kaum mehr mit dem beherzten und couragierten Spiel im EM-Achtelfinale zu vergleichen. Man kann eben doch nicht immer alles beim Alten lassen. Für kurze Phasen mag die Weisheit „never change a winning team“ zutreffen, mittelfristig hingegen unterstehen auch „winning teams“ den Zeichen der Zeit.

Neue Impulse durch Lopetegui

In Spanien wurde erst recht eine Trainerlegende verabschiedet. Mit Vicente del Bosque, einem weltmännischen Koordinator, trat ein Welt- und Europameister von der großen Fußballbühne ab. Er verstand es wunderbar, die verschiedenen Interessen in Spanien in der Nationalmannschaft vergessen sein zu lassen und führte La Furia Roja zu zwei historischen Titeln. In den letzten zwei Turnieren allerdings konnte Spanien nie mehr die ganze Klasse abrufen und schied jeweils früh aus. Von daher wird man nicht nur traurig sein über den Wechsel.

Genau wie Italien musste also auch Spanien einen neuen Cheftrainer anheuern. Die schlussendliche Wahl hätte aber kaum gegensätzlicher sein können. Mit Julen Lopetegui wurde ein verhältnismäßig junger Trainer verpflichtet. Der Baske hat sich im Verband bereits einen Namen gemacht und sowohl die U19 als auch die U21 zum EM-Titel führen können.

Im Vereinsfußball war er lediglich beim FC Porto aktiv. Er ließ Fußball mit viel Ballbesitz und sehr hohem, aggressivem Pressing spielen. Erfolge waren ihm keine gegönnt, aber seine Spielphilosophie hat er in Portugal klar dargelegt. Zumindest im Hinspiel konnte man mit dem starken Pressing auch den FC Bayern in der Champions League genügend fordern.

Win-Win-Situation

Lopetegui den Posten anzuvertrauen, macht durchaus Sinn. Wie bei Italien hat dies keinen Stilbruch zur Folge. Die Furia Roja wird weiterhin offensiv agieren. Allerdings dürfte man sich vom neuen Coach versprechen, dass er das Spiel der Spanier erweitert und auch den einen oder anderen jungen Spieler integriert. Sehr starkes, hohes Pressing könnte ein Impuls sein, der dem spanischen Spiel in den entscheidenden Momenten taktisch neues Leben einhaucht.

So gesehen ist es ein beidseitig zufriedenstellender Deal. Lopetegui kann sich in Spanien weiter vernetzen und mit technisch perfekt ausgebildeten Spielern an seinem System feilen. Mit Erfolg wird er sich einen Weg versprechen, wie ihn Conte auch gegangen ist: Mit großen Lorbeeren zurück in den Vereinsfußball. Der spanische Verband auf der anderen Seite wird hoffen, dass der Baske die Mannschaft weiterentwickelt.

Attraktives Amt für junge Trainer

An diesen beiden Beispielen lässt sich der Wandel des Jobprofils eines Nationaltrainers schön nachvollziehen. Lange Zeit war dieser Posten den Herren vorbehalten, die sich nach einer langen und verdienstvollen Karriere noch für ihr Land einsetzen und sich dem Stress des Vereinsfußballs entziehen wollten. Eine Vorstufe zum Ruhestand also und damit ein Job für den späten Karriereherbst. Ottmar Hitzfeld fungiert dabei als Muster, ebenso wie Vicente del Bosque oder Marcello Lippi.

Momentan allerdings zeichnet sich eine andere Tendenz ab. Junge Trainer verstehen diesen Beruf nun offenbar als Chance. Sie sehen, was diese Aufgabe alles bieten kann. Man steht in stetem Kontakt zu allen Trainern im Lande und kann Beziehungen zu dessen begabtesten Kickern aufbauen. Die Nationaltrainer coachen jede Partie auf einer großen Bühne und können sich so einen Namen machen.

Musterbeispiel Deutschland

Deutschland hat 2004 diesen mutigen Schritt gewagt. Mit Jürgen Klinsmann und Joachim Löw wurden relativ junge unerfahrene Trainer geholt. Es hat sich gelohnt. Im eigenen Land wurde man dank neuer Impulse mit erfrischendem Offensivfußball Dritter und einige der damals neu integrierten Spieler waren acht Jahre später tragende Säulen beim vierten WM-Titel für Deutschland.

Dies hat sich nicht nur für den DFB gelohnt, sondern auch für die Trainer. Klinsmann erhielt die Chance, den FC Bayern zu trainieren und Löw, der immer noch Nationaltrainer ist, wird regelmäßig mit Topklubs in Verbindung gebracht. Sollte er seine Karriere im Vereinsfußball fortsetzen wollen, dürfte er keine Probleme haben, einen tollen Arbeitgeber zu finden. Dies dank seiner Erfolge als Nationaltrainer.

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