In ganz Europa sind Rechtspopulisten auf dem Vormarsch. Lange wähnten wir Deutschen uns aufgrund unserer Geschichte gefeit vor einem erstarkten rechten Rand. Doch dem ist wohl nicht so. Deutschland muss verdammt aufpassen, dass Rechtspopulisten nicht zu einer ernsthaften Bedrohung für ein weltoffenes und tolerantes Land werden. Nun ist auch der Fußball ins Kreuzfeuer der Rechtspopulisten geraten. Das ist höchstgefährlich für das Klima in unserem Land. Ein Kommentar von Philip Hell.
Nein, die AfD Mitglieder sind keine „Nazis“. Wer diesen geschichtsvergessenen Vergleich ziehen muss, hat eindeutig mehr Bildung nötig. Das hier ist kein Hasstext gegen eine Partei und all ihre Mitglieder. Das ist mir zu dumm. Hass ist mir zu dumm.
Doch Teile der AfD wollen Hass und Angst schüren. Dafür scheint ihnen jedes Mittel recht. Das Spiel ist immer wieder dasselbe. Der eine Akteur der Partei provoziert, der andere dementiert. Ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem es nur einen Gewinner gibt: Die AfD.
Ihre Inhalte kommen ins Gespräch, die öffentliche Debatte verschiebt sich spürbar nach rechts. Den Provokateuren der AfD scheint es völlig egal zu sein, wenn sie mit ihren Aussagen diffamieren. Flüchtlinge mit Waffengewalt an der Grenze stoppen? Eine Selbsverständlichkeit für Frauke Petry. Kleine Kinderaugen, die sich nach Sicherheit sehnen, ignorieren? Alexander Gauland schafft das.
Nun sind diese Aussagen bei weitem schlimmer als die Aussage bezüglich Boateng. Doch sie offenbaren das wahre Gesicht dieser Partei.
Ausnützen um jeden Preis
Die Nationalelf Deutschlands steht für ein weltoffenes, schönes Deutschland. Der Urbayer Müller stürmt neben dem Halbspanier Gomez. Der Urbayer Schweinsteiger, der in England spielt, läuft neben dem Halb-Tunesier Khedira auf, der in Italien kickt. Traumhaft! Diese Nationalmannschaft ist gelebte Integration. Nun wird das sicher auch AfD-Sympathisanten erfreuen. Doch sobald die Spieler den Platz verlassen, und ihrem Privatleben fröhnen, stoßen die Fans der Rechtspopulisten recht schnell an die Grenzen der Toleranz.
Mesut Özil hat neulich ein Foto gepostet. Er in traditionellem Gewand vor der Kaaba. Dem zentralen Heiligtum seiner Religion. Die Hinwendung zur Religion kann man sehen wie man will. Religion ist nämlich, Gott sei Dank, Privatsache. Das scheint die AfD anders zu sehen. Eine führende sächsische AfD-Politikerin nannte den Akt der Haddsch „antipatriotisch“. Ihr Argument untermauerte sie mit allerlei Ressentiments gegenüber dem Islam. Würde man Özil nicht als gemäßigt religiösen Menschen kennen, man hätte meinen können, er hätte sich mit einem Haufen IS-Kämpfer ablichten lassen.
Auch Lukas Podolski hat neulich ein Foto gepostet. Er beim Papst in Rom. Wo war da der Aufschrei der Rechten? Es ist dieses Messen mit zweierlei Maß, das Ängste schürt und der AfD Stimmen bringt.
Vielleicht ist etwas Wahres dran
Gaulands Aussagen erreichten ein großes Publikum. Erstes Thema der Tagesschau, Statement der Kanzlerin und ich schreibe aufgrund von dieser Aussage meinen Kommentar. Gauland wurde für seine Aussage (natürlich) heftig niedergemacht. Es ist ja auch richtig so.
Diese Aussage ist natürlich völliger Quatsch. Doch der Subtext der Aussage ist ja, „der Deutsche“ möchte nicht neben „dem Ausländer“ wohnen. Mit dem Echo das Gauland erzeugt, könnte man meinen, dem sei nicht so. Aber unter den 80 Millionen Deutschen gibt es sicher Menschen, die Gauland zustimmen. Und das wohl nicht zu knapp. Der Standard berichtet, dass einer von sechs Österreichern nicht neben Boateng wohnen möchte. Nun ist Österreich anders strukturiert, aber in Deutschland dürften es wohl ähnlich viele sein.
Gauland hat wohl somit, ohne es zu wollen, eine Debatte angestoßen, die Deutschland dringend führen muss. Wie organisieren wir unser Zusammenleben, in einer Zeit der Globalisierung? Wie verschwindet der Alltagsrassismus, der in nicht wenigen Deutschen noch schlummert? Diese Fragen werden die öffentliche Debatte in Deutschland wohl noch länger beschäftigen.
Vielleicht ist ein Fest der Nationen, das diese EM ist, bei der Deutschland mit einer Multikulti-Mannschaft teilnimmt, genau das Richtige in Zeiten wie dieser. Hoffentlich zeigt uns diese EM, das Europa funktioniert und Integration besser als Abschottung und Schießbefehl ist.
P.S.: Ich würde sehr gerne neben Herr Gauland wohnen. Das wären sicher interessante Gespräche über den Gartenzaun.