Renato Augusto, Ramires, Jackson Martinez. Die Liste der Fußballer, die noch längere Zeit in Europa auf höchstem Niveau spielen könnten – und doch nach China wechseln – ist lang und wird länger. Dort, wo die Fußballlandschaft bisher allenfalls den Ruf eines Ressorts für Altprofis, die nochmal ein bisschen Geld und rauskitzeln wollen, hatte. Aber diese Zeiten sind vorbei, was die Auflistung von namhaften Profis eingangs zeigt. Es wird noch mehr Geld in die Hand genommen – und von unten bis oben revolutioniert. Damit kennt man sich ja aus in China.
Seit einiger Zeit stolpert man über Nachrichten, die das chinesische Schulsystem betreffen. Fußball soll dort als Pflichtfach eingeführt werden, zudem auch eine Ausbildungsoffensive für Trainer gestartet werden. Und zwar mithilfe europäischem Know-how. Das wird oft übersehen, denn der ein oder andere qualifizierte Trainer kann derzeit ordentlich Geld machen in Fernost.
Wie dem auch sei: Die Chinesen, sollen sie doch machen was sie wollen. Die kennen sich ja nicht aus! Fußball als Schulfach, lächerlich – so in etwa könnte man die Durchschnittsreaktion des hiesigen Muster-Fußballfans in Worte fassen. Wirklich in Rage kommt dieser erst, wenn Schritt zwei im chinesischen Erfolgsrezept kommt: Die nationale Liga aufpolieren, Attraktivität erhöhen. Und eben mal zig Millionen Euros in Neuzugänge und deren Gehälter investieren.
Diejenigen, die mehr in sich ruhen und Kenner des Geschäfts sind, wissen durch humorvolle Äußerungen aufzufallen: „Es war immer sein Traum, eines Tages für Beijing Guoan zu spielen.“ Subtil wird hier also der Spieler kritisiert, der ja ohnehin nur dem Ruf des Geldes folge.
Stimmt. Er folgt tatsächlich nur dem Ruf des Geldes! Doch ist es nicht verwerflich, ihm das gleiche vorzuwerfen wie einst Mario Götze, der ja angeblich früher in FCB-Bettwäsche schlief? Denn die Spieler, die nach China abwandern, geben ja offen und ehrlich zu, dem Geld zu folgen. Renato Augusto, der auch bei S04 im Gespräch war, bekannte, Geld für sich und seine Familie verdienen zu wollen. Das sei ihm in China besser möglich als im Ruhrpott oder in der brasilianischen Heimat – ein legitimer Grund, oder etwa nicht?
Diejenigen, die den Verlust der Fußball-Romantik beklagen und sich über die Spieler lustig machen, haben noch nicht ganz verstanden, um was es geht. Allen von ihnen Dummheit vorzuwerfen, wäre vermessen. Ein großer Teil der Resonanz ist sicherlich auch der chronischen Profiliersucht im partizipativen Netz geschuldet, das von der „Schwarmintelligenz“ – oder oft vielmehr „Schwarmdummheit“ – profitiert.
Die „Fußball-Romantik“ ist schon lange vorbei
China, angetrieben von Xi Jinping, investiert kräftig in den Fußball. An der Spitze stehen einflussreiche Unternehmer wie Jack Ma, Lia Yueting und Wang Yianling. Forbes berichtet davon, dass sich Yueting schon über einen erheblichen Verlust seiner Investitionen beklagt haben soll – was die Frage nach dem Profit aufwirft.
Doch kann das dem europäischen Fußballfan nicht mehr oder minder egal sein? Um es mit Franz Xaver Krenkl zu halten: Wer ko, der ko! Also: Die Chinesen haben schlicht und einfach die Macht, Gefüge im Profifußball über den Haufen zu werfen. Ob das für das Land gut oder schlecht ist, kann noch nicht gesagt werden – wie vorhin gestellte Frage zeigt. Noch streitbarer ist die Frage nach den langfristigen Folgen für den Fußball selbst.
Diese seriös zu beantworten, ist nicht möglich. Komplexe volkswirtschaftliche, supranationale Prozesse sind vielleicht noch als Hauptelement dieser Entwicklung auszumachen – die schon schwer genug zu analysieren, geschweige denn zu prognostizieren sind. Dazu kommen regulierende Komponenten wie die FIFA, die ihrerseits alles andere als transparent ist, sowie nationale Organe mit politischer Funktion.
Es lässt sich schlussfolgern: Die Reaktionen auf den China-Boom sind spontan, populistisch und unseriös. Die sogenannte „Fußball-Romantik“ ist spätestens seit Etablierung des Profitums vorbei. Der Fußball hat seit seiner Erfindung so viele Entwicklungen und Prozesse durchgemacht, aktuelle befindet man sich in einer weiteren.
Wer hat denn geglaubt, dass der Fußball irgendwann so bleibt, wie er ist?